Samtschwarz - Page, S: Samtschwarz
sexuelles Abenteuer zu vertuschen.
„In meinem Zustand muss ich dauernd den Nachttopf benutzen. Stündlich.“ Venetias Brauen zuckten nach oben, als sie ihre mit Farbe beschmierte Hand hob, um sich eine Locke aus dem Gesicht zu streichen. Sie gähnte. „Ich bin bestens darüber informiert, dass du die ganze Nacht nicht in deinem Bett warst.“
Maryanne wartete. Sie hatte keine Ahnung, was sie darauf erwidern sollte. Es war nur zu offensichtlich, was passiert war: Sie hatte ihre Zukunft zerstört. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihre Strafe abzuwarten. Letztendlich war sie vom guten Willen ihrer Schwester und ihres Schwagers abhängig, von ihrem Mitgefühl und ihrer Großzügigkeit.
Venetia presste die Lippen aufeinander und wartete ebenfalls. Die Sekunden verstrichen, während Maryannes Herz wie wild pochte.
Schließlich seufzte Venetia. „Mit der Post ist ein Brief für dich gekommen.“
Das hatte sie nicht erwartet. Georgiana! Panik erfasste sie. „Ich nehme an, du hast ihn gelesen.“
Mit gespieltem Entsetzen legte sich Venetia die Hand aufs Herz. „Du warst nicht zu Hause – du hättest tot sein können. Natürlich habe ich ihn gelesen.“
„Und was steht drin?“
Aus der praktischen Tasche ihres Rocks zog Venetia ein gefaltetes Blatt hervor.
Eilig überflog Maryanne die wenigen Zeilen, aus denen Georgianas Brief bestand.
Alles hat bestens funktioniert. Der Earl wird sich einiger der lästigen Finanzprobleme annehmen. Ich konnte mich in der vergangenen Nacht nicht fortstehlen. Falls du gekommen bist, bist du die wunderbarste und treuste Freundin, die man sich denken kann. Ich bin sicher, du bist gut zurechtgekommen. Nun kannst du wieder ruhig schlafen, meine Liebe, ich habe alle unsere Probleme gelöst. Da ich nun aber London verlassen und aufs Land reisen muss, wirst du dich an meiner Stelle um einige Dinge kümmern müssen. Dabei wird dir der sehr fähige Mr. Osbourne, der Finanzberater, den ich engagiert habe, helfen …
„Welche Probleme könnte es geben, die du gemeinsam mit einer stadtbekannten Kurtisane lösen musst?“, erkundigte sich Venetia mit kühler Stimme.
„Der Mangel an guten Modistinnen?“ Nachdem sie die Worte ausgesprochen hatte, konnte Maryanne kaum glauben, dass sie sie tatsächlich gesagt hatte. Sie provozierte ihre Schwester – und dabei provozierte sie doch niemals irgendjemanden.
Das musste an ihrer Nacht mit Lord Swansborough liegen. Seitdem fühlte sie sich wie ein völlig neuer Mensch. Wie eine Frau, die es satthatte, übersehen zu werden, als wäre sie unsichtbar. Und Georgianas Brief hatte sie in Aufruhr versetzt, ihr Herz klopfte wie wild. Sie hatte sich auf den Weg gemacht, Drachen zu töten, um ihre Freundin zu beschützten, und es war genau, wie Dash – Lord Swansborough – vermutet hatte.
Georgiana hatte um ihre Hilfe gebeten und sie gleich darauf vergessen. Hatte sie einfach vergessen. Hatte keinen Gedanken mehr an sie verschwendet. Irgendein Earl – wahrscheinlich Craven oder jemand anders – hatte sie herangewinkt, und ihre Freundin hatte nicht einmal daran gedacht, ihr wenigstens eine Nachricht zu schicken.
Eine kalte Faust griff nach Maryannes Magen und drückte ihn zusammen.
Ihrer Schwester war sie wichtig. Und sie stieß Venetia beiseite, die sich Sorgen um sie machte, weil sie für die abscheuliche Georgiana, der sie völlig egal war, alles riskiert hatte.
Maryanne beschloss, sich keinen Deut um Georgiana zu scheren, wenn sie, wie üblich in Tränen aufgelöst, zurückkehrte. Sie war fertig mit ihrer besten Freundin. Für immer.
„Es tut mir leid“, wisperte Maryanne. „Du verdienst, dass ich dir die Wahrheit sage.“
Feste Hände legten sich auf ihre Schultern. Maryanne ließ zu, dass ihre Schwester sie herumdrehte und den gepflasterten Weg entlang zur Gartenbank führte.
„Vielleicht habe ich die Wahrheit verdient“, stellte Venetia mit gespielter Fröhlichkeit fest. „Ob ich sie auch vertrage, ist eine andere Sache.“
Wie brachte man der eigenen Schwester eine besonders furchtbare Wahrheit bei? Maryanne sank auf die Bank und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. In diesem Moment wäre es von Vorteil gewesen, unsichtbar zu sein. Durch ihre ein wenig gespreizten Finger erzählte sie alles.
Als sie fertig war, herrschte minutenlang ein geradezu ohrenbetäubendes Schweigen.
An Maryannes Seite wandte Venetia sich ab und starrte die Rückseite des hochherrschaftlichen Hauses an. Maryanne spürte einen leisen Hauch von
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