Samuel Carver 01 - Target
dieser zu Schukowski herumkam und ihm das schwarze Kästchen übergab.
Carver sah sich auf den allmächtigen weißen Knopf starren, dann begegnete er Schukowskis beobachtendem Blick. Seine Eingeweide zogen sich zusammen, als sein Organismus mit dem Stresshormon Cortisol überschwemmt wurde, dem Angstauslöser bei drohenden Schmerzen. Er schluckte mühsam. Seine Achselhöhlen prickelten.
Schukowski lächelte. Er drückte den Knopf nur eine Sekunde lang und löste einen Stromstoß aus, der den jaulenden Carver vom Stuhl hochriss und ihn so heftig wieder fallen ließ, dass dieser fast damit umgekippt wäre. Titow stieß ein triumphierendes Gegacker aus und bedachte Carver mit einer reichen Auswahl russischer Schimpfwörter. Schukowski nickte nur zufrieden. »Nun, damit ist wohl deutlich geworden, dass wir Sie unter Kontrolle haben. Wir können uns jetzt allein unterhalten, nur wir beide.«
Seine Männer wurden mit einem Wink entlassen. Unterwegs blieb Titow bei Carvers Stuhl stehen, blickte ihn einen Moment lang an und versetzte ihm einen seitlichen Faustschlag.
Der Schlag war nicht so kräftig, wie er hätte sein können. Titow hatte ihn schräg abwärts führen müssen, und Carver hatte den Kopf wegdrehen können, sodass ein wenig von der Kraft ins Leere lief. Darum war Carver nur etwas benommen. Sein Kieferknochen war angeknackst, aber nicht gebrochen. Doch der Schmerz war darum nicht geringer. Als Titow, der sich glücklich die blaugeschlagenen Fingerknöchel rieb, den Raum verließ, drehte Carver den Kopf hin und her, um wieder klar zu werden. Er schmeckte Blut von der aufgeschrammten Wange und tastete mit der Zungenspitze umher. Zwei Backenzähne wackelten wie die Milchzähne eines Schulkinds.
Plötzlich und unangekündigt überfiel ihn am ganzen Körper ein heftiges Zittern wie eine ungewollte Erinnerung an die eben durchlittenen Zuckungen.
»Titow hat sich noch nie sonderlich beherrschen können«, sinnierte Schukowski, ohne auf Carver zu achten. »Wenn es nach ihm geht, ist das nur ein Auftaktgeplänkel. Er wird noch viel mehr Genugtuung verlangen, ehe ihn das Ergebnis befriedigt. Und ich stimme ihm zu. Auch ich bin noch nicht mit Ihnen fertig. Ich will, dass Sie eines begreifen: Sie haben Aleksandra zu keiner Zeit etwas bedeutet. Darum will ich Ihnen etwas über die wirkliche Frau erzählen, die nichts mit der Geliebten Ihrer Phantasie zu tun hat.«
Er stand auf und ging zu einem Sideboard, auf dem Flaschen und Gläser standen. Er goss sich ein Glas Wodka ein und kehrte zu seinem Sessel zurück.
»Es ist meine Frau Olga, die sie entdeckt hat, wissen Sie, bei einem Komsomoltreffen. Da war sie noch ein unscheinbares Mädchen aus der Provinz, aus Kirow, wie ich mich entsinne …«
»Nicht Kirow«, widersprach Carver. »Es war …« Er runzelte die Stirn. Er wusste genau, wo Aliks als Kind gelebt hatte. Der Name lag ihm auf der Zunge. Doch er wollte ihm beim besten Willen nicht einfallen.
Schukowski zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Wo sie herkommt, interessiert mich eigentlich nicht. Was sogleich offensichtlich war, schon im ersten Augenblick, als Olga mich auf sie aufmerksam machte, waren die erstaunlichen Potenziale dieses Mädchens. Natürlich schielte sie ein bisschen …«
»Das hat sie mir erzählt …«, sagte Carver. Daran konnte er sich noch erinnern.
»Auch ihre Zähne standen schief, hat sie Ihnen das auch erzählt? Das mussten wir beides richten lassen. Aber der Rest war Aleksandra.«
Er stellte sein Glas neben sich auf den Beistelltisch und nahm sich Zeit für seine Gedanken.
»Es war ihr Hunger, der mich am meisten beeindruckt hat«, fuhr er fort. »Sie hungerte nach einem besseren Leben, nach Erfahrungen und, ja, auch nach Sex. Dieses Mädchen war mit jeder Faser eine Frau, und doch verspürte sie ein geradezu männliches Verlangen nach sexuellen Eroberungen. Es gab keine Form der Lust, die sie nicht ausprobierte. Und dann, als das Entlein sich in einen Schwan verwandelte und Aleksandra sich zum ersten Mal ihrer Anziehungskraft bewusst wurde, entwickelte sie einen Hunger nach Macht. Wer weiß, vielleicht sehnte sie sich nach Rache für den Spott und die Zurückweisung der Jungs, hm? Sie gebrauchte ihre Macht über Männer wie eine Kaiserin. Andere Mädchen mussten überredet, sogar gezwungen werden, ihren Körper in den Dienst des Vaterlandes zu stellen. Nicht Aleksandra. Sie triumphierte dabei.«
»Was hat sie nach dem Mauerfall getan?«, fragte Carver. Er bekam allmählich
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