Samuel Carver 01 - Target
einen klaren Kopf; die Schmerzen ließen nach, und er hatte seinen Körper wieder unter Kontrolle. Er konnte still auf seinem Stuhl sitzen, ohne zu zappeln wie ein ungeduldiger Schuljunge.
»Sehen Sie«, meinte Schukowski lächelnd und nickte zufrieden, weil sich zeigte, dass er Recht hatte. »Sie können ihr nicht widerstehen. Sie wollen trotzdem alles über sie wissen. Nun, ich werde es Ihnen verraten. Ich verließ das Komitee für Staatssicherheit, da ich es vorzog, mich privaten Unternehmungen zu widmen. Aleksandra ging mit mir.«
»Sie waren Ihr Zuhälter?«
»So hat sie es dargestellt? Ich werde ein Wörtchen mit ihr reden müssen. Nein, ich habe sie für meinen Privatgebrauch behalten. Ich sagte ja schon, dass sie meine Geliebte ist.«
»Warum haben Sie dann Ihr Lieblingsspielzeug zu einem Selbstmordunternehmen nach Paris geschickt?«
»Weil es kein Selbstmordunternehmen war. Meine Anweisungen an Wake waren klar. Sein angeworbener Killer hatte zu sterben. Das waren Sie natürlich. Ich durfte keinem Mann trauen, den ich nicht kannte. Doch es gehörte nicht zu meinem Plan, zwei meiner meist geschätzten Leute zu verlieren. Es war der Engländer, der beschloss, sie ebenfalls umbringen zu lassen.«
Carver verzog das Gesicht. »Aber warum Aliks?«
Wieder zuckte Schukowski mit den Schultern. »Weil sie sich langweilte. Sie fing an, sich zu beklagen, sie habe den ganzen Tag über nichts zu tun als einzukaufen, zu essen und in Schönheitssalons zu gehen. Ich hielt ihr entgegen, dass jede andere Frau in Russland dafür töten würde. Doch das überzeugte sie nicht. Sie wollte in meiner Organisation arbeiten …«
»Und Sie haben ihr geglaubt?«
»Ich habe geglaubt, dass sie sich langweilte, und ich weiß, dass eine gelangweilte Frau sehr schnell Probleme macht. Sie betrinkt sich in der Öffentlichkeit oder fickt ihren Tennislehrer. Also dachte ich, gut, das ist ein einfacher Auftrag. Sie braucht bloß auf einem Motorrad zu sitzen und mit einer Kamera zu knipsen. Wenn es klappt, kann man vielleicht an weitere Aufträge denken.«
»Ja, ich verstehe«, sagte Carver. Er konnte sich vorstellen, dass Aliks bei diesem Leben verrückt wurde, wo nichts von ihr verlangt wurde, als die Zeit totzuschlagen. Sie ging auf die Dreißig zu. Schukowski mochte sich allmählich anderweitig interessieren. Sie würde erleben, wie jüngere Frauen sie musterten, ob nicht schon die erste Falte, der erste Hüftspeck, ein leichtes Erschlaffen der Brüste zu entdecken war, das erste Zeichen, dass ihre Macht zu schwinden begann. Sie war klug genug, ein anderes Leben vorzubereiten. Doch hatte dieses Leben in Schukowskis Organisation stattfinden sollen, oder hatte sie die Wahrheit gesagt, als sie von ihrem Wunsch zu entkommen erzählt hatte?
Dumme Frage. Was sie in diesem Punkt dachte, hatte sie deutlich gezeigt. Ein Stiefel im Gesicht war nicht gerade ein zarter Wink. Denk nicht mehr an sie, sie will nicht gerettet werden. Also gut, wenn sie zu Schukowskis Mannschaft gehören wollte, sollte sie mit ihnen zur Hölle fahren. Er konnte das Blatt trotz allem noch wenden.
Carver schätzte die Entfernung zwischen sich und Schukowski ab. Es war mit einem Sprung zu schaffen, dessen war er sicher. Der Russe wäre behindert, weil er in dem weichen Sessel saß, hätte es schwerer, auf die Beine zu kommen.
Carver ließ den Kopf hängen und murmelte: »Es ist vorbei, stimmt’s?«
»Ja«, sagte Schukowski. »Für Sie ist es vorbei.«
Der Russe hatte sich entspannt, denn Carver war in seinen Augen ein gebrochener Mann. Er streckte den rechten Arm nach dem Wodkaglas aus und drehte dabei den Kopf weg. Das war ein Moment geringfügiger Angreifbarkeit, und Carver nutzte ihn.
Er hatte die Füße auf den Boden gestemmt, die Zehen in den Teppich gedrückt, die Oberschenkel angespannt, den Bauch eingezogen. So hatte er sich mit aller Kraft, die er noch besaß, vom Stuhl weggestoßen.
Carver warf sich durch die Luft.
Er zielte mit dem Kopf auf Schukowskis Gesicht.
Mitten im Sprung fuhren die 50000 Volt zum vierten Mal in seinen Körper und schmetterten ihn auf den Teppich, wo er sich vor Schmerzen wand.
»Haben Sie wirklich geglaubt, dass ich so unvorsichtig bin?«, fragte Schukowski und erhob sich aus seinem Sessel. Er ragte neben Carver auf. »Haben Sie das wirklich geglaubt?«, wiederholte er. Dann trat er ihm in den Bauch, dass Carver sich zusammenkrümmte.
»Verstehen Sie nicht, wer ich bin?« Schukowski wurde nicht im Mindesten laut, sondern
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