Samuel Carver 01 - Target
sprach jedes Wort mit kalter, nüchterner Überlegung. »Ich war Oberst im KGB. Ich habe Dissidenten zusehen lassen, wie ihre ganze Familie lebendig verbrannt wurde, Frau und Kinder, Mutter, Vater, alle. Ich habe Gefangene dazu gebracht, die Hände in kochendes Wasser zu halten und sich dann die Haut abzuziehen wie bei einer überbrühten Tomate. Soll ich das vielleicht auch mit Ihnen tun?«
»Nein«, stöhnte Carver. »Bitte. Ich flehe Sie an. Ich werde Ihnen helfen. Ich kann etwas für Sie tun. Ich kenne das Passwort für den Laptop des Konsortiums. Ich habe den Entschlüsselungskode. Ich werde ihn Ihnen verraten. Nur, bitte … hören Sie auf, mich zu foltern.«
»Nun ja …«, sagte Schukowski wie zu sich selbst, während er Carver umkreiste, »warum sollte ich das tun?«
Er trat ihn noch einmal, diesmal in die Nieren, sodass Carver sich nach hinten krümmte. Da Schukowski ihn weiter umkreiste, rollte Carver sich zusammen. Er würgte und war nicht imstande zu sprechen.
Schukowski stampfte ihm auf die Fußknöchel.
»Ich bin unbeeindruckt«, sagte er. »Ich hatte erwartet, dass ein Mann, der beim Special Boat Service gewesen ist, mehr Widerstandskraft gegen Schmerzen zeigt. Vielleicht sind Sie inzwischen verweichlicht. Vielleicht tun Sie aber auch nur, als würden Sie aufgeben. Was meinen Sie?«
Carver lag mit der unverletzten Gesichtshälfte auf dem Teppich. Der Russe konnte die dunkelrote Schwellung klar sehen, die die Stelle markierte, wo Titow seinen Faustschlag platziert hatte. Also stellte er den Absatz darauf und erhöhte langsam den Druck, sodass Carver den Kopf nicht wegziehen konnte und sich hilflos am Boden wand, während er ein unterdrücktes Schmerzensgeheul von sich gab.
»Nein, Sie tun nicht nur so«, sagte Schukowski. »Dennoch könnte es sein, dass Sie eine Falle für mich aufgestellt haben. Für einen Mann von Ihren Fähigkeiten wäre es kein Problem, in einem Laptop eine Sprengladung zu verstecken. Man ersetze die Batterie durch Sprengstoff, und ein Tastendruck genügt, um ihn hochgehen zu lassen. Diese Anschlagmethode habe ich schon selbst benutzt. Vielleicht werden wir noch feststellen, welche Geheimnisse dieses lächerliche Gerät in sich birgt. Aber wenn es eine Falle ist, sind Sie es, der dabei stirbt.«
77
Als Aliks sagte, ihr würde bei Carvers Anblick schlecht werden, war das die Wahrheit gewesen. Sie hatte beinahe würgen müssen, als er so nackt und besiegt vor ihren Füßen lag und ihre Versacestiefel abküsste. Sie hatte ihn wegtreten müssen, um sich nicht auf der Stelle zu übergeben.
Aber nicht, weil sie Carver etwa verachtete. Ihr war übel, wenn sie an ihr eigenes Verhalten dachte. Sie hatte den einzigen Mann, der sie je wirklich geliebt hatte, in die Hände eines Monsters gegeben. Sie hatte ein Spiel zu viel gespielt, eine Lüge zu viel erzählt. Und jetzt bezahlte Carver den Preis für ihren Verrat.
An ihrem letzten Abend in Genf war sie wütend auf ihn gewesen. Zuerst hatte sie nur geschmollt; es war eine Meinungsverschiedenheit unter Liebenden gewesen. Als er sich dann geweigert hatte, sie bei seiner Erkundung mitzunehmen, steigerte sie sich in eine trotzige Enttäuschung hinein. Sie fühlte sich von oben herab behandelt. Die kleine Frau sollte zurückbleiben, während der große starke Mann an die Arbeit ging. Und dann, als Kursk auftauchte und das friedliche kleine Café in ein Schlachthaus verwandelte, empfand sie jene Art von hilfloser Wut auf ihn, wie sie sich bei Angst und Verlassenheit einstellt. Sie gab Carver die Schuld an ihrer Entführung und schürte ihren Zorn, um sich für das zu stärken, was sie als Nächstes würde tun müssen.
Wenn Juri Schukowski je auch nur vermutete, dass ihre Beziehung zu Carver etwas anderes als eine professionelle Täuschung gewesen war, würde sie sterben, das wusste sie. Ihr Überleben hing davon ab, ihn davon zu überzeugen, dass sie lediglich getan hatte, was sie am besten konnte: ihre Fähigkeiten emotionaler und sexueller Manipulation gegen einen hilflosen Mann einzusetzen. Darum färbte sie ihren Bericht über jene drei Tage mit spöttischer Verachtung. Sie stellte Carver als Idioten hin, den sie getäuscht hatte, der zwar zu Kampf und Sabotage fähig war, aber ein ungeschickter Anfänger, wenn er statt einer Waffe eine Frau in den Händen hielt.
Ein bisschen stimmte das natürlich. Aber gerade darum hatte sie ihn so sehr gemocht, und sie wusste jetzt, dass sie ihn hätte lieben können, wenn sie es nur zugelassen
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