Samuel Carver 01 - Target
als sich mit besoffenen Rowdys zu prügeln. Ich werde mich mal umhören. Wer weiß, vielleicht ergibt sich ja so etwas.«
Drei Wochen später klingelte das Telefon. Der Anrufer stellte sich weder vor, noch fragte er Jackson, wie er heiße. »Über die Namen können wir uns später noch einigen«, sagte er.
Er vertrete eine Gruppe reicher, mächtiger, staatsbürgerlich gesinnter Leute in London. Seine Auftraggeber kümmerten sich um die Lösung gewisser Probleme, die außerhalb der Möglichkeiten von Regierungsstellen lägen, da diese durch Verträge und Gesetze gebunden seien. »Es heißt, Sie könnten eventuell etwas zu unserer Arbeit beitragen«, sagte er. »Sie haben erstklassige Empfehlungen.«
Und am Ende des Telefonats sagte der Mann: »Wie wär’s, wenn Sie mich einfach Max nennen?«
»Einverstanden. Und Sie können mich Carver nennen.« Das war der Name seiner leiblichen Mutter gewesen. Das hatten ihm die Jacksons kurz nach seinem einundzwanzigsten Geburtstag erzählt. Sie meinten, er habe das Recht, das zu wissen. Später, als er sich eine ganz neue Identität ausdachte, war er auf den Vornamen Samuel verfallen – aus keinem besonderen Grund, ihm gefiel nur der Klang.
Carver wählte die Nummer, die er bekommen hatte. Eine Frau meldete sich, deren Stimme etwas älter klang und deren Ausdrucksweise an die Schulabschlüsse und Debütantinnenbälle in alter Zeit erinnerte. Pamela Trench teilte Carver mit, dass ihr Gatte übers Wochenende auf Moorhuhnjagd im schottischen Hochland sei. »Ich bedaure außerordentlich, aber er ist telefonisch nicht erreichbar. Darf ich ihm etwas ausrichten?«
»Nein, machen Sie sich keine Umstände.«
Es folgte ein kurzes Schweigen, dann sagte Mrs Trench: »Ich bin froh, dass Sie anrufen, Paul. Es ist nur so, dass wir, nun, wir hatten nie Gelegenheit, miteinander zu sprechen, nachdem dieses arme Mädchen …«
Die wohlmeinenden Worte trafen Carver wie ein Schlag in den Magen, bevor er sich gegen die Erinnerung wappnen konnte. »Ich weiß«, murmelte er.
»Es muss entsetzlich für Sie gewesen sein.«
»Ja, das war nicht schön.«
»Sie sollen nur wissen, dass wir alle an Sie gedacht haben.«
Carver gelang es, sich zu bedanken, bevor er das Telefon zuschnappen ließ. Er hatte Mühe, die Bilder zu unterdrücken, die in ihm aufstiegen: zwei Wagen, zwei Unfälle, zwei unschuldige Frauen seinetwegen tot. Er wurde von der Scham überwältigt, die tief in seiner Seele saß und nicht auszulöschen war. Und mit ihr kam eine kalte, harte Wut, ein unerbittliches Verlangen nach Rache an denen, die ihn als Ahnungslosen geschickt hatten. Er würde sie für die Verdammnis bezahlen lassen, die sie über ihn gebracht hatten.
Aber im Augenblick durfte er sich nicht erlauben, die Selbstbeherrschung zu verlieren. Davon hing sein Leben und das einer Frau ab. Darum schluckte er seinen Zorn samt allem anderen herunter und ging ins Abteil zurück. Aliks schlief noch immer.
25
Carver weckte Aliks, bevor der Zug in Lausanne am Nordufer des Genfer Sees einfuhr. Sie stiegen um und kamen pünktlich um 10 Uhr 45 in Genf an, wo sie einen Bus durch das Geschäftsviertel nahmen. Der Bus fuhr über die Rhône an der Wasserfontäne vorbei, die bis zu hundertvierzig Meter in die Höhe stieg. In der Nähe des Flusses standen die gleichen anonymen modernen Bürobauten, Läden und Banken wie in jeder anderen europäischen Großstadt auch; aber dahinter erhob sich der Berg mit der Kathedrale St. Peter. Dort lag die Altstadt mit ihrer mehrtausendjährigen Geschichte, das eigentliche Genf.
»Hier steigen wir aus«, sagte Carver.
Er ging mit Aliks kurvige Straßen hinauf und durch enge Gassen zwischen hohen alten Wohnhäusern hindurch. »In Genf wurde immer hoch gebaut«, bemerkte er, als er Aliks’ Blick sah, der den Reihen der Fensterläden bis zum Himmel folgte. »Die Stadt war früher von einer Mauer umgeben und konnte sich nicht ausbreiten. Also konnte man nur in die Höhe bauen.«
»Du meine Güte, eine Geschichtsvorlesung.«
Carver machte ein betretenes Gesicht. »Tut mir leid, ich wollte Ihnen keinen Vortrag halten.«
»Schon gut, es gefällt mir ja. Ich wusste nur nicht, dass Sie sich für solche Dinge interessieren.«
Sie kamen an einem Antiquariat vorbei, das sich hinter zwei Bogenfenstern in einem Haus mit Holzfassade befand. Es war geschlossen, aber draußen standen frei zugängliche Regale mit alten Büchern. Aliks blieb stehen und bewunderte das Vertrauen des Ladenbesitzers.
»Die kann
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