Samuel Carver 03 - Assassin
er nicht mehr in der Lage ist zu schwimmen, und ertrinkt wie ein Delphin im Thunfischnetz. Der Trick besteht also darin, den Schirm nicht zu fr ü h und nicht zu sp ä t zu l ö sen. » Wenn du das Wasser an den Schuhspitzen sp ü rst «, hatte Carvers Ausbilder gesagt.
Und wenn er gewusst h ä tte, was sein Sch ü ler eines Tages tun w ü rde, h ä tte er hinzugef ü gt: » Und zieh um Gottes willen keinen Wingsuit an.«
Es ist schon ziemlich schwer zu schwimmen, wenn man die Arme nur bis zu f ü nfundvierzig Grad vom K ö rper wegstrecken kann, weil man in einem Fledermausanzug steckt. Wenn dann auch noch die Beine durch ein Dreieck aus unelastischem Stoff in der Bewegung eingeschr ä nkt sind, ist es v ö llig unm ö glich. Also musste Carver sich mit seinen Fl ü geln besch ä ftigen, lange bevor er seinen Fallschirm loswurde.
Dreihundert Meter ü ber dem Wasser zog er an den Cutaway-Griffen, die die Fl ü gel an den Armen l ö sten. Er sp ü rte, wie die Klettverschl ü sse abrissen, schwenkte die Arme zur Seite und seufzte erleichtert, als die zwei schwarzen Dreiecke flatternd in der Dunkelheit verschwanden.
Der Beinfl ü gel hatte keine Vorrichtung zum Abrei ß en. Er musste mittels Rei ß verschl ü ssen gel ö st werden. Carver zog die Knie an die Brust, tastete nach dem Verschluss und zog daran. Nichts passierte. Er zog noch einmal. Keine Reaktion. Der Verschluss klemmte.
Carver hatte h ö chstens noch zwanzig Sekunden bis zum Aufprall. Er zwang sich, nicht in Panik zu verfallen, sondern klar zu denken und ruhig zu handeln. Noch war nichts verloren. An seinem Anzug war ein leichtes Kampfmesser befestigt, mit einem Griff aus Titan und einer Klinge aus Wolframstahl, die mit DLC beschichtet war. Sie drang selbst durch den festesten Stoff so leicht wie durch menschliche Haut. Carver w ü rde das Messer f ü r beides brauchen.
Er zog es heraus und begann mit aller Kraft an dem Fl ü gelstoff zu schneiden. Der hatte unten am Saum eine zus ä tzliche Versteifung, die die Stabilit ä t und Rei ß festigkeit w ä hrend des Fluges erh ö hen sollte.
Das Wasser rauschte ihm entgegen. Das Messer s ä gte durch die Versteifung. Gerade noch rechtzeitig trennte Carver die letzten F ä den durch. Seine Beine kamen frei, nur zwei breite Stoffstreifen flatterten noch an den N ä hten, als h ä tte er eine Schlaghose aus den Siebzigern an. Dann traf ihn eine Erkenntnis. Er w ü rde den Fallschirm nicht l ö sen k ö nnen, solange er das Messer in der Hand hatte, und er durfte auch nicht mit der ungesch ü tzten Klinge auf dem Wasser aufschlagen.
» Schei ß e! «, murmelte er und warf das Messer so weit wie m ö glich weg. Damit hatte er eine seiner wertvollsten Waffen verloren. Doch er hatte keine Zeit, sich dar ü ber Gedanken zu machen. Er zog die Rei ß leine.
Gleich darauf schlug er auf dem Wasser auf und sank in die Tiefe.
Ein, zwei Sekunden lang schien sein Schwung nicht abzunehmen, doch dann wurde Carver langsamer, er trat mit den Beinen, machte einen Zug mit den Armen im Wasser nach oben und f ü hlte, wie er langsam, qualvoll langsam an die Oberfl ä che stieg.
Endlich kam er an die Luft und erlebte die wunderbare Wiedergeburt durch den ersten verzweifelten Atemzug. Er war gelandet. Und er lebte. Nachdem er zu der Insel geschwommen war, kroch er auf einen der Felsen zu, die sie umgaben, peinlich darauf bedacht, von den M ä nnern am fernen Ufer, die Lincoln Roberts bewachten, nicht gesehen zu werden.
Um den Bauch hatte er eine Ausr ü stungstasche geschnallt, in der eine gek ü rzte Heckler & Koch MP 7 steckte, eine verbesserte Version der MP 5, die er zuletzt benutzt hatte. Sie war gebaut worden, um kugelsichere Kleidung zu durchdringen. Vorsichtshalber sch ü tzte er sie nach alter Sitte des Special Boat Service vor Wasser: mit einem Kondom ü ber dem Lauf. In der Tasche befanden sich auch verschiedene kleine Sprengs ä tze, ein Schnorchel, eine Tauchermaske und ein Paar Flossen. Er setzte die Sauerstoffmaske ab und warf sie ins Wasser, ebenso das Gurtzeug des Fallschirms. Dann legte er die Unterwasserausr ü stung an, glitt in den Currituck Sound und schwamm um die Insel herum aufs Festland zu.
8
Zeit seines beruflichen Lebens hatte Carver sich antrainiert, nicht ü ber richtig und falsch nachzudenken bei dem, was er tat. Nicht dass ihm der moralische Kompass fehlte. Es war nur so, dass es keinen Zweck hatte, Zeit mit Dingen zu vergeuden, an denen er nichts ä ndern konnte. Das hatte er bei den
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