Samuel Carver 03 - Assassin
Tolland, ein hoch aufgeschossener Brillentr ä ger von Mitte zwanzig mit den ersten Anzeichen von Haarausfall an den Schl ä fen, ging ü ber einen staubigen Hof, in dem ein paar d ü rre B ä umchen standen. Drei kleine Kinder spielten im Dreck, wo billige bunte Plastikspielzeuge verstreut lagen. Eine Betontreppe f ü hrte zu einem kastenf ö rmigen modernen Haus.
Tolland klingelte an der Glast ü r und sah zu, wie eine Frau im schlichten schwarzen Hosenanzug, einen grauen Schal um Kopf und Hals, ü ber den gefliesten Boden des Flures kam und ö ffnete.
Er setzte ein freundlich gewinnendes L ä cheln auf. » Guten Morgen «, sagte er. » Ich bin –«
» Ich wei ß , wer Sie sind, S üß er «, sagte die Frau mit einem Akzent, der sich nach den Hinterh ö fen von Brooklyn anh ö rte. »Ich lese Ihre Berichte im Internet. Kommen Sie doch rein.«
Jake Tolland hatte immer Auslandskorrespondent werden wollen. Er ging davon aus, dass ein betr ä chtlicher Anteil der schlimmen Nachrichten – und somit der guten Storys – sich aus dem blutigen Gemisch von Revolution, Krieg, Chaos und Verbrechen speiste, das sich von Russland ü ber den Balkan bis in den Nahen Osten erstreckte, und hatte in Cambridge Russisch studiert und dann am Institut f ü r Orientalistik und Afrikanistik der Londoner Universit ä t Arabisch gelernt. Ausgestattet mit diesen beiden Qualifikationen und einem wissbegierigen Wesen, hatte Tolland bald eine eindrucksvolle Liste von unabh ä ngigen Artikeln und einige positiv aufgenommene B ü cher vorzuweisen, die ihm einen Vertrag mit der Times einbrachten.
Seine Arbeit zog jedoch auch die Aufmerksamkeit von Talentscouts des MI6 auf sich, die Fleet-Street-Journalisten schon lange als Hilfsspione einsetzten. Seit drei Jahren ü bernahm er ungef ä hrliche Auftr ä ge, beschaffte Informationen und agierte als Verbindung zwischen Auslandsagenten und London. Darum war er nicht im Mindesten ü berrascht, als Bill Selsey anrief und ihm erz ä hlte, es gebe da einen mysteri ö sen Engl ä nder, der eingeschleuste Prostituierte in Dubai kaufte, um sie anschlie ß end freizulassen.
» Gehen Sie zu einer Adresse, die sich Haus der Freiheit nennt «, sagte Selsey. » Das ist ein Heim, das von einer Amerikanerin namens Sadira Khan gef ü hrt wird. Sie ist mit einem Pakistaner verheiratet, daher der Name. Wir glauben, dass ein M ä dchen namens Lara da untergeschl ü pft ist. Sie wurde von einem Engl ä nder dorthin geschickt, der sie anscheinend auf einer Art Sklavenversteigerung gekauft und dann freigelassen hat – ein richtig edler Retter. Wir interessieren uns f ü r ihn, seien Sie also so gut und sehen Sie zu, was Sie herausfinden k ö nnen. Geben Sie alles an uns weiter, dann haben Sie einen Exklusivbericht. Ich m ö chte ihn nur kurz ü berfliegen, bevor Sie ihn ver ö ffentlichen, damit nichts drinsteht, was wir lieber geheim halten wollen.«
Wie jedes Frauenhaus beherbergte das Haus der Freiheit traumatisierte Frauen. Es hatte Tolland eine Stunde geduldiger Ü berzeugungsarbeit am Telefon gekostet, um den Gespr ä chstermin zu bekommen, und noch mehr Verhandlungen an dem runden Esstisch in einem kahlen mauvefarbenen Raum, bis Sadira Khan bereit war, in seinem Namen mit Lara Dashian zu sprechen.
» Ich kann nichts versprechen «, sagte sie. » Wenn Lara nicht mit Ihnen reden will, dann bleibt es dabei, und Sie gehen. Und selbst wenn sie es will, gibt es keine Namen, keine Fotos, nichts, wodurch man sie identifizieren k ö nnte. Ich wei ß nicht, inwieweit Sie ü ber diese Menschenh ä ndler Bescheid wissen, aber die schrecken vor nichts, vor absolut gar nichts zur ü ck. Ihr Leben steht auf dem Spiel.«
» Ich verstehe «, sagte Tolland und dachte gut gelaunt, wie sich Sadira Khans Warnung in seinem Bericht lesen w ü rde, entsprechend untermalt von seiner eigenen dramatischen Schilderung. W ä hrend der n ä chsten zwanzig Minuten wartete er allein in dem Raum, bis Mrs Khan mit einer kleinen schm ä chtigen jungen Frau wiederkam, die ein h ü bsches Gesicht mit feinen Z ü gen und schwarze Haare hatte. Zwei gro ß e braune Augen sp ä hten unter dem Pony hervor. Sie waren sch ö n. Sie h ä tten eigentlich spr ü hen sollen vor Leben. Stattdessen sah Tolland einen Schleier der Dumpfheit ü ber einem Abgrund an Qualen. In diesem Moment verschwand seine professionelle, kaltherzige N ü chternheit durchs Fenster. Er konnte gut verstehen, warum der Mann, den Bill Selsey als edlen Retter bezeichnet hatte,
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