Samuel Carver 04 - Collateral
danach schlagen konnte. Als er diesmal den Kopf hob, blickte er schon ärgerlich und knurrte laut. Entschlossen nicht zu weichen, ließ er den Kopf erneut sinken.
»Hup doch mal«, schlug Zalika vor.
Carver glaubte einen spöttischen Unterton zu hören, der an ihren alten Kampfgeist erinnerte. Doch dann dachte er daran, wie sie sich während der ganzen Fahrt immer wieder nach hinten gedreht und ängstlich durch die Heckscheibe gespäht hatte. Egal wie sie sich gab, sie war sich der Gefahr, in der sie schwebten, nur allzu bewusst.
»Das darf ich nicht riskieren«, sagte Carver. »Wenn sie unterwegs sind, um uns zu suchen, hören sie das. Vielleicht können wir ihn erschießen.«
»Auf einen Löwen sollte man nur schießen, wenn man ihn auf der Stelle töten kann«, gab Justus zu bedenken. »Und wenn wir diesen Löwen hier töten, müssen wir ihn zur Seite räumen.«
»Das heißt, eine Kette drumlegen, die Winde einsetzen – dafür haben wir nicht die Zeit«, sagte Carver. »Zum Teufel damit.«
Er jagte den Motor hoch und rollte langsam vorwärts. Der Löwe würde sich doch sicher wegbequemen, wenn er den Druck des Stahlblechs spürte.
Lobengula bewegte sich. Er schob sich rückwärts, kam auf die Beine, schüttelte verärgert die Mähne und blieb mitten auf dem Weg stehen. Er brüllte kurz, fast hörte es sich wie Bellen an. Das war seine Art Schuss vor den Bug, eine Warnung. Beim nächsten Mal würde er wirklich brüllen. Und wenn das das Ärgernis nicht beseitigte, würde er kämpfen.
Carver sah genervt an die Wagendecke. »Himmel noch mal!«
»Es gab noch einen anderen Weg, ungefähr zweihundert Meter hinter uns. Er führte bergab. Vielleicht können wir den versuchen«, schlug Zalika vor.
»Alles besser als sich hier rumzuärgern«, sagte Carver und zog an seinem Sicherheitsgurt. »Anschnallen!«
Der Löwe war nicht das einzige männliche Wesen, das die Geduld verlor. Die Anspannung, die Carver in den letzten vierzig Minuten erfolgreich unterdrückt hatte, brach sich Bahn. Er legte den Rückwärtsgang ein, drehte sich mit dem Oberkörper zur Heckscheibe und trat heftig aufs Gas.
Der Land Rover schoss rückwärts. Carver riss das Steuer herum, um den Wagen um die Biegung zu bringen, aber zu weit: Der hintere Kotflügel stieß gegen die Felswand. Carver riss das Steuer in die andere Richtung.
»Pass auf!«, schrie Zalika.
Zu spät. Eines der Hinterräder geriet über die Kante des Wegs. Carver stieg auf die Bremse, aber der Land Rover rollte über die Kante, kippte auf die Seite und rutschte sechs Meter den Abhang hinunter, bis er mit dem Dach gegen einen Baum stieß und liegen blieb.
Carver stellte den Motor ab, und während die Staubwolke vom Wind verweht wurde, kehrte am Hang Stille ein. Der Baum hatte eine Mulde in das Dach gedrückt. Die Fenster an der Fahrerseite waren zersplittert, und im Wageninnern lagen Scherben. Die drei Insassen hingen in ihren Sicherheitsgurten.
Carver war, als der Wagen kippte, mit dem Kopf gegen die Scheibe geschlagen. Die Stelle schmerzte, und ihm tropfte Blut in ein Auge. Er hatte ein paar Blutergüsse und war aufgewühlt, ansonsten aber unverletzt. Nichts gebrochen, soweit er sagen konnte.
»Habt Ihr’s einigermaßen überstanden?«, fragte er und hörte ein brummiges Ja von Justus, der über ihm hing, und auch von Zalika vom Rücksitz.
»Was nun?«, fragte sie dann.
Als das Fahrzeug sich von ihm wegbewegte, wollte Lobengula sich wieder schlafen legen. Er ließ sich gerade an seinem alten Platz nieder, als ein Geruch heranwehte, der zuvor im Gestank der Abgase untergegangen war: der Geruch von Menschen.
Lobengula war eigentlich kein Menschenfresser. Das hatte er bisher nicht nötig gehabt. Es hatte immer reichlich Beute im Reservat und viele willige Weibchen gegeben, die für ihn jagten. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Menschen mochten eine ungewohnte Beute sein, aber sie rochen essbar. Und Lobengulas Hunger war groß.
Neugierig, wie Katzen nun mal sind, trottete er den Weg entlang und den Hang hinab zu dem kaputten Wagen.
95
Carver überlegte, wie er am besten aus dem Wagen steigen konnte. Das Steuer war rechts, sodass die Fahrerseite am Boden lag. Die Windschutzscheibe hatte ein faustgroßes Loch und zahllose kleine Risse. Ein kräftiger Tritt würde genügen, um sie aus dem Rahmen zu lösen. Zuerst aber würde er sich in eine Lage bringen müssen, in der er den Tritt ausführen konnte, und das hieß, sich abschnallen und die Beine anziehen. Justus
Weitere Kostenlose Bücher