Samuel Carver 05 - Collapse
vor dem Sturz in mehrere hundert Meter Tiefe bewahrt hatten, war durch Stürme im Südpolarmeer gesegelt, wo die Wogen haushoch über den Mast ragten und Eisberge in der Dunkelheit erschienen wie erstarrte Geister. Doch kein Kampf gegen die Elemente der Natur hatte ihn so erregt wie die Momente, in denen er es mit dem Markt aufnahm und alles, was er hatte, auf seine Fähigkeit setzte, es gegen alle Wahrscheinlichkeit zu schaffen.
Zorn erkannte, dass Orwell in sehr großer, vielleicht sogar tödlicher Gefahr schwebte, ohne dass ihm das Wohlergehen des ehemaligen Premierministers sonderlich am Herzen lag. Sein Tod würde jedoch den Ablauf der restlichen Woche ernsthaft komplizieren. Auch wenn Orwell es noch nicht wusste, für ihn war eine immens wichtige Rolle bei der Markteinführung von Zorn Global am Freitagabend vorgesehen. Doch im Augenblick konnte Zorn deswegen nichts unternehmen. Selbst wenn er zu Orwell durchgekommen wäre, hätte er ihm gegenüber nicht begründen können, warum er mit dem Hubschrauber umkehren sollte, ohne zu verraten, was in Rosconway gleich passieren würde. Orwells Schicksal war also besiegelt. Und es würde sich noch als sehr nützlich erweisen, wie Zorn gerade klar wurde, wenn sich jemand unter den Opfern befand, der so berühmt und mit seinem Fonds so eng verbunden war. Ja, das war sogar ein außerordentlicher Glücksfall.
Sehr rasch vergrößerte Zorn sein Engagement bei seinen stark fremdfinanzierten Investments und verwendete noch größere Sorgfalt darauf, seine Spuren zu verwischen. Er setzte sein eigenes Kapital und jeden Cent, den seine Investoren ihm gegeben hatten, und zwar so, dass seine Gewinne oder seine Verluste ein Vielfaches des Einsatzes betragen mussten.
Wie immer in solchen Momenten schaute Zorn auf das Foto seiner Eltern, das er überallhin mitnahm. »Okay, Dad, Mom, jetzt sind wir so weit. Ich werde sie alle bezahlen lassen, versprochen. Ich bin so nah dran … Also wünscht mir Glück, ihr beiden. Ich gehe aufs Ganze.«
47
Rosconway
Als Carver zu Tyrrell und Schultz stieß, blickten sie mutlos auf ein Podium, das vor einer massiven, von Gerüsten und Leitungsrohren umgebenen Stahlsäule aufgebaut war. Sie sah aus wie eine Rakete auf der Startrampe. Dahinter sah man noch mehr solcher Säulen, Schornsteine und Gebäude. Dazwischen zogen sich dicke Rohrleitungen entlang und führten an dem kleinen freien Platz vorbei, wo der Minister vor der Presse seine Rede zu halten gedachte. Eine Schar Journalisten und Staatsdiener liefen umher und warteten darauf, dass die Vorstellung anfing. In der Zwischenzeit hatte Willie Holloway heftigen Streit mit einem jungen Mann im Nadelstreifenanzug, der mit der Platzierung des Podiums offenbar sehr unglücklich war. Carver sah einen Ausdruck ungetrübter Verachtung auf Holloways Gesicht erscheinen, als sein Gegner mit arrogantem Ton und schriller Stimme erklärte: »Ihre albernen Sicherheitsvorschriften kümmern mich einen Dreck. Der Minister braucht den optimalen Hintergrund. Sie werden es verrücken müssen.«
Die Männer vom SBS waren nicht glücklicher. »Sehen Sie sich das an«, stöhnte Schultz und deutete auf die Destillationskolonnen. »Der ideale Platz für Heckenschützen. Hier kann ein ganzes Regiment in Deckung gehen. Selbst ein verdammter Fallschirmjäger kann hier zum Schuss kommen, ehe wir ihn daran hindern könnten.«
»Na, ganz so würde ich es nicht ausdrücken, aber ich sehe es genauso«, sagte Tyrrell und nickte Carver grüßend zu. »Wie gut kennen Sie sich mit solchen Abläufen aus?«, fragte er.
»Ich weiß mehr über Bergbau und Erzgewinnung.«
»Also, man erhitzt das Rohöl auf circa sechshundert Grad Celsius, bis es verdampft, und trennt es über diese Destillationskolonne in verschiedene Petrochemikalien auf. Die kondensieren alle in unterschiedlicher Höhe der Säule, je höher, desto edler das Produkt. Und jetzt kommt das Detail, weshalb wir uns Sorgen machen müssen: Alle diese Petrochemikalien unterscheiden sich in Brennbarkeit, Explosionsfähigkeit und Giftigkeit.«
»Mit einfachen Worten: So ein Medienrummel in einer Raffinerie ist wie ein Grillfest in einer Feuerwerksfabrik«, schloss Schultz.
»Na, dann viel Spaß bei der Party«, sagte Carver. »Kann ich mal die Wagenschlüssel haben?«
»Wollen Sie ein Bierchen trinken gehen, Sir?«, fragte Schultz grinsend.
»Nein, will mir nur was ansehen, was Holloway und seine Leute vielleicht übersehen haben.«
Tyrrell zog die Brauen zusammen.
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