Samuel Koch - Zwei Leben
Schmerzen, die mir das Gehirn wegzusprengen schienen. Bohrer- und Schraubgeräusche in mir. Ich wollte schreien. Aber ich konnte nicht. Ich spüre, ich werde irgendwo festgeschraubt. Am Boden einzementiert. Ich kann mich nicht bewegen! Vor Schmerzen und Erschöpfung verlor ich mal wieder das Bewusstsein.
Die Lähmung steigt auf
Als sich meine Lage am Montag zuspitzte, drängte ein Anästhesist: âBevor wir Samuel am Ende noch notoperieren müssen, lasst uns vorsorglich einen Luftröhrenschnitt machen.â Das hatte einen guten Grund: Bei einer so groÃen Operation muss der Patient intubiert und beatmet werden. Bei der ersten OP war das durch eine Beatmungsmaske umgangen worden. Und zum Intubieren muss man den Hals überstrecken â keine gute Idee bei jemandem, der ein gebrochenes Genick hat. Der Anästhesist setzte sich durch. Zum Glück, denn ich hätte die wenig später erfolgte Not-OP sonst vermutlich nicht überlebt. So aber wurde als VorsichtsmaÃnahme ein Luftröhrenschnitt gelegt, dessen Narbe noch heute unten an meinem Hals zu sehen ist.
Wie ich ihn erhielt, habe ich noch teilweise in Erinnerung. Glaube ich zumindest. Immer wieder verband mein Gehirn das, was ich träumte, mit dem tatsächlichen Erleben. So mischt sich in meinem Unterbewusstsein auch der Luftröhrenschnitt mit Eindrücken einer Personalweihnachtsfeier an der Universitätsklinik in Düsseldorf, an der ich vielleicht zum Eingriff hin vorbeigeschoben wurde. In meinem Albtraum fügte mir eine attraktive HNO-Ãrztin mit einem Kugelschreiber schreckliche Schmerzen zu. Das kam mir sehr real vor, ich weià aber bis heute nicht, was da überhaupt passiert ist.
Man muss sich die Situation folgendermaÃen vorstellen: Ich lag auf dem Rücken, mein Kopf fest fixiert. Ich konnte nicht husten. Ich konnte mich nicht bewegen. Und dann dieses Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, die Angst zu ersticken. Panikattacken. Und ich konnte mich nur mit den Augen äuÃern.
Ich konnte nicht mehr richtig einatmen, nicht mehr ausatmen. Ständig spürte ich die Panik weitersteigen: Jetzt ersticke ich gleich! Ich rief tonlos: âHilfe! Ist denn keiner da? Kann mir keiner helfen? Ich kriege keine Luft mehr! Ich ersticke!â Ein Albtraum, aber real.
So grausam die Prozedur für mich war: Sie rettete mir wohl das Leben. Als klar war, dass ich tatsächlich notoperiert und damit künstlich beatmet werden musste, war der Kanal für die Beatmung schon gelegt. Ohne ihn hätte ich wohl nicht überlebt.
Mein Zustand spitzte sich 40 Stunden nach dem Unfall weiter zu. Die Einblutungen nach der Blutverdünnung drückten immer mehr auf mein Rückenmark. Die Lähmung stieg hoch. Erst wurden die Beine taub. Dann konnte ich meine Arme nicht mehr spüren und bewegen. Als Nächstes drohte die Atmung zu versagen.
Am Montagabend klingelte bei meinem Vater das Telefon: âDer Zustand von Samuel hat sich verschlechtert. Wir müssen jetzt notoperieren. Wir haben keine andere Chance!â
âDas war der schlimmste Tagâ, erinnert sich mein Vater, âder schlimmste überhaupt. Marion, die Kinder, die Freunde und ich, wir alle saÃen zusammen auf dem Hotelbett, als der Chefarzt anrief und sagte, sie würden dich jetzt operieren!â
Meine Eltern spürten mehr, als dass sie wussten: Bei dieser Operation ging es um Leben und Tod. âWir haben alle zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich begriffen, was da alles mit Samuel geschahâ, sagt mein Vater. âWir waren über seine Verletzungen informiert worden, ja. Aber was sie alles für ihn und seine Gesundheit bedeuteten, das blieb für uns an diesem Montag noch wie in einem Nebel verborgen. Auch was die Operation genau bedeutete, wie groà die Risiken waren und was sie Samuel bringen würde, war uns unklar. Wir konnten alle nur vertrauen.â
Doch das war nicht einfach. âAn diesem Abend war für uns erst mal das Ende dessen erreicht, was wir verkraften konnten, und wir brachen zusammen. Im Hotel heulten wir die Kissen voll und wurden dann irgendwann vom Schlaf übermannt.â
Dann kam der Dienstag früh nach der Operation: âWir sind gleich zu Samuel auf die Intensivstationâ, erzählt mein Vater. âEr war sehr abgeschirmt. Wegen des Medienandrangs wurde die Station zum Hochsicherheitstrakt. Ein Pfleger guckte durch die Tür und sagte, er dürfe nichts sagen.
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