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Samuel Koch - Zwei Leben

Samuel Koch - Zwei Leben

Titel: Samuel Koch - Zwei Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fasel
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Auch vom Sender kamen zwischendurch Menschen und schwiegen mit uns. Es tat gut, dass sie da waren.“
    â€žWenn alle Menschen so zueinander wären, dann wäre alles perfekt auf der Welt!“, sagte mein Vater einmal in der Rückschau auf diese Tage und die Welle der Hilfsbereitschaft, die uns entgegenschlug.
Science Fiction auf der Intensivstation
    Es gab für mich keinen einzelnen, klar festzumachenden Moment des Aufwachens. Ich wechselte zwischen Dämmerzustand und Erwachmomenten, und alles kam mir total surreal vor. Ständig schien draußen Nacht zu sein wie in einem düsteren Science-Fiction-Film.
    Erst später habe ich erfahren, dass in meinem Zimmer auf der Intensivstation alle Scheiben abgedunkelt waren, damit kein Fotograf von außen hereinknipsen konnte.
    Ich war umgeben von künstlichem Licht, das mir in meiner Wahrnehmung und meinem Zustand extrem grell erschien. Dieses Licht blieb Tag und Nacht gleich, sodass ich jedes Zeitgefühl verlor.
    Die Menschen, die um mich herumwerkelten, waren mit Haube, Kittel und meist Mundschutz versehen. Gesichtslose Gestalten umgaben mich, machten unangenehme und schmerzhafte Sachen mit mir, wie zum Beispiel mit ca. 30 Zentimeter langen Kanülen in meiner neuen Körperöffnung (dazu später mehr) unten am Hals herumzustochern. Das löste einen Würge- und Hustenreiz aus, der wiederum half, Schleim aus den Lungen zu befördern, der dann weggesaugt wurde. Hätte ich gewusst, dass diese Prozedur mich noch mehrere Wochen quälen würde, wäre ich gleich nach Hause gegangen. Wenn ich gekonnt hätte.
    Zu allem Überfluss und um meine Verwirrung perfekt zu machen, nannten die Menschen in meiner Umgebung mich „Simon Schmitz“. Auch hierfür war der Grund die übermäßige Neugier der Presse, aber auch das konnte ich ja nicht ahnen. Meine sehr eingeschränkte Körperwahrnehmung trug zusätzlich zu meiner Verwirrung bei.
    Es war eine vollkommen fremdartige Situation, ich kapierte gar nichts mehr. Ich hatte im wahrsten Sinne des Wortes das Gefühl, im falschen Film zu sein.
    Schon wenige Stunden nach meinen Unfall hatten Journalisten versucht, sich Zugang in das Datensystem der Düsseldorfer Universitätsklinik zu verschaffen und dort illegal Details über meinen Gesundheitszustand zu ergattern. Die Vorsichtsmaßnahme mit dem falschen Namen mussten wir auch noch nach meiner Verlegung in das Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil aufrechterhalten. Es war sogar so, dass selbst manche der Ärzte anfangs nicht wussten, wer ich wirklich war.
    Die Tarnung war perfekt. Auf meinen Stützstrümpfen, auf meinem Bett, auf meinen Akten, auf den kleinen Tablettenkästchen, überall stand auf den Aufklebern zu lesen: „Simon Schmitz“. So stand mein zweites Leben plastisch vor mir. Noch nicht einmal meinen Namen hatte es mir gelassen.
Ich will atmen!
    In den ersten Tagen durchlebte ich medikamentenindizierte Träume, die sich mit der Realität vermischten. Es ist komisch: Ich habe mich in der Düsseldorfer Klinik in den ersten Tagen viel alleingelassen und hilflos gefühlt, obwohl fast ständig jemand aus meiner Familie bei mir war. Wahrscheinlich konnte ich meine Begleiter nur nicht richtig wahrnehmen, da ich ja fixiert, mit dem Blick starr nach oben, im Bett lag. Gefühlt habe ich stundenlang um Hilfe gerufen, doch ich hatte keine Stimme. Ich rang nach Luft.
    Selbst heute schälen sich nur Schlaglichter aus dieser Zeit aus meiner Erinnerung. Durch die Lähmung, die Medikamente und den Schock hatte ich wohl jedes reale Raum- und Zeitgefühl verloren. Ich hatte manchmal sogar das Gefühl, dass ich getrennt von meinem Körper im Raum stehe oder schwebe und meine Eltern von oben sehe. Meine Schwestern und mein Bruder waren ebenfalls da, daran kann ich mich vage erinnern. Erst als ich in Nottwil war, wurde meine Wahrnehmung allmählich wieder klarer.
    â€žWir haben Samuel nur dann verlassen, wenn er in Richtung Operationssaal geschoben wurde“, sagt mein Vater. Meine Eltern ließen mich nicht aus den Augen, versuchten, mir Nähe und Trost zu vermitteln.
    Ein übler Moment war, als der Halofixateur in meinen Kopf geschraubt wurde, um meinen Nacken absolut ruhigzustellen. Die Köpfe von Ärzten, Mechanikern und Pflegern über mir, alle mit Masken. Sie schraubten gemeinsam das Ding in meinen Kopf. Mein Schädel dröhnte und brummte. Ich spürte

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