Samuel Koch - Zwei Leben
schmerzhaft. Samuel hat deshalb seine ganze Willenskraft aufgebracht, fast unbegrenzt geübt, nur um aus seinem Zustand aktiv etwas zu machen.
Samuel und seine Familie haben die unangenehme Situation, in dieser Lage mitten in der Ãffentlichkeit zu stehen, hervorragend gemeistert. Es war auch für mich als sein Arzt ungewohnt und manchmal belastend, 20 bis 30 Journalisten vor der Tür der Intensivstation zu treffen. Auch seine Eltern haben mir durch ihre Deutlichkeit und Klarheit und ihre auÃergewöhnlichen Persönlichkeiten sehr imponiert.
8. AuÃer Lebensgefahr
Am 11. Dezember 2010 sollte ich nach Nottwil ins Schweizer Paraplegiker-Zentrum verlegt werden. Ich hatte extreme Schmerzen, die durch jede noch so kleine Erschütterung ins Unerträgliche gesteigert wurden. Selbst wenn nur jemand an mein Bett trat, schoss mir ein weiÃer Blitz durch den Nacken.
Die Aussicht auf das, was mich beim Transport erwarten würde, schreckte mich so ab, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben selbst zusätzliche Schmerzmittel verlangte. Ich sagte zu Mattis: âSchieà mich ab!â
Als er beim Abschied weinte, merkte ich selbst erst, wie sehr er und das Klinikpersonal mir in so kurzer Zeit ans Herz gewachsen waren.
Durch den Hinterausgang wurde ich aus der Klinik geschmuggelt. Ein Krankentransport brachte mich zum Flughafen Düsseldorf. Von da aus ging es mit einem Flugzeug der deutschen Luftrettung nach Zürich. Dort wartete ein Hubschrauber der Schweizer Rettungsflugwacht REGA, der mich nach Nottwil bei Luzern flog.
Angekommen auf der Intensivstation in Nottwil konnte ich nichts Festes essen, weil allein schon die Kaubewegungen so schmerzhaft waren. Mein Vater schälte mir mit seinem Schweizer Taschenmesser Trauben, weil das Zerkauen der Schale zu sehr weh tat. Das Schweizer Taschenmesser meines Vaters! Mit sechs Jahren hatte ich von Papa mein erstes eigenes bekommen. Wie McGyver. Absurdes Detail . Ich lutschte eine schalenlose Traube und döste wieder weg.
Der Komplex des Schweizer Paraplegiker-Zentrums liegt direkt am Sursee mit Blick auf die Berge der Zentralalpen im Süden. Doch den Ausblick konnte ich in den folgenden Wochen nicht betrachten, weil ich auf der Intensivstation lediglich ein kleines Fenster zum Innenhof hatte, durch das ich aus dem Augenwinkel den Himmel sehen konnte.
Ich hatte vorher nur mitbekommen, dass ich jetzt in eine Art âTrainingslagerâ in der Schweiz komme, wo ich richtig hart rangenommen werden würde, um mich wieder fit zu machen. Darauf freute ich mich fast, denn das kannte ich ja: Training, Kämpfen, Schwitzen, an Grenzen gehen. Prima.
Damals wusste ich nicht, dass dieses Training kein herkömmliches Training sein würde. Sondern eines, das fast ausschlieÃlich im Kopf stattfindet und bei dem der Körper kaum aktiv beteiligt ist.
Doch zunächst konnte von Training sowieso noch keine Rede sein. Ich war überwältigt von dem Schmerz, der mich nicht mehr loslieÃ. Aus meinem Nacken hämmerten die Attacken durch meinen Kopf und überall dorthin im Körper, wo ich noch einen Rest an Gefühl besaÃ. Ohne Schmerzmittel konnte ich keine Stunde durchhalten.
Jeder, der ernsthaft Sport treibt, kennt Schmerzen. Doch das beste Mittel gegen jede Art von Schmerzen, das ich früher immer genutzt habe, stand mir nicht mehr zur Verfügung: Bewegung.
Bei Muskelkater, Krankheit oder Schmerzen war ich früher erst recht in die Turnhalle gegangen und hatte mich, entgegen manchem Vernunftverständnis, auf die Geräte gestürzt. Oder eben Laufschuhe an und ab in den Wald. Einige SchweiÃtropfen und Kilometer später hatte ich dann alle Beschwerden beseitigt oder zumindest ausgeblendet.
Ich sitze fest
Und jetzt? Ein Gestell war mit vier Schrauben in meinem Schädel fixiert. Ich konnte ihn keinen Millimeter drehen. Bewegung? Fehlanzeige. Alles, was ich noch tun konnte, war die Augen auf- und zuzumachen.
Es war grässlich, mich nicht bewegen zu können. Ich fühlte mich ausgeliefert wie eine Schildkröte, die auf ihren Rückenpanzer gerollt ist. Die nächsten sechs Monate, so hatten es die Ãrzte vorgesehen, sollte ich nur auf dem Rücken liegend verbringen.
Ich meinte zu spüren, wie sich der Staub im Raum auf mir ablegte, und ich konnte nichts dagegen tun. Der Staub, der unendlich langsam, von den Sonnenstrahlen angeleuchtet und nur dadurch für mich sichtbar, durch mein Krankenzimmer
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