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Samuel Koch - Zwei Leben

Samuel Koch - Zwei Leben

Titel: Samuel Koch - Zwei Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fasel
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schwebte. Ich schloss die Augen, damit die Staubkörner wenigstens nicht auf meinen Pupillen landeten. So lag ich da und ließ mich in meiner überreizten Fantasie vom Staub zudecken, begraben. Vielleicht lässt der Staub mich ja verschwinden. Diesen Körper, der mich dazu zwingt, nur noch auf dem Rücken zu liegen. Der mir keine andere Lage mehr erlaubt. Verzweiflung stieg in mir auf. Mein Körper ist nur noch eine tote Hülle. Nutzlos, dass man ihn mit sich herumschleppt.
    Erst in Nottwil wurde mir zum ersten Mal wirklich die Brutalität der 60 Millisekunden bewusst, die mich hierhergebracht hatten. Als die Ärzte mir sagten: „Den Halofixateur müssen Sie ein halbes Jahr lang tragen!“, da protestierte ich: „Das ist doch Quatsch, mein Semester läuft ja schon. Ich muss zurück zum Studieren!“
    Später kam Bart de Kimpe, der Ergotherapeut. Er wollte einen Rollstuhl für mich anpassen, doch ich lehnte brüsk ab. Denn ich war felsenfest überzeugt: „Einen Rollstuhl? Den brauche ich nicht! Ich muss bald wieder ins Training!“
    Zu meinem Vater sagte ich: „Papa, das war kein Unfall! Macht euch mal keine Sorgen. Das ist alles Teil eines großen Plans, und bald gehe ich wieder, so wie immer.“
    In der Anfangszeit in Nottwil habe ich einfach nicht geglaubt, dass es so ist, wie es ist. Die Erkenntnis sickerte nur ganz langsam in mein noch immer von Medikamenten benebeltes Gehirn. In der ersten Woche in Nottwil lag ich nachts allein da und dachte: Es geht dir nicht gut. Okay. Du steckst halt noch mitten im spinalen Schock. Das haben dir ja die Ärzte in Düsseldorf erklärt.
    Aber dann wurden die Botschaften, die mein Bewusstsein erreichten, klarer und härter: Samuel, du kannst dich nicht mehr bewegen. Du wirst nie wieder laufen können! Schlimmer geht’s nicht.
Heulen ist nicht mein Ding
    In den ersten zwei Wochen nach dem Unfall war ich tapfer, zäh, zuversichtlich. Ich wollte doch wieder laufen können! Gebet und Hoffnung hielten mich aufrecht. Aber langsam drang die Wahrheit scheibchenweise in meine Gedanken und ich merkte, wie ich den Halt zu verlieren drohte.
    Ich lag im Bett auf der Intensivstation in Nottwil. Es war Nacht. Zum ersten Mal nach dem Unfall weinte ich.
    Es war eine Woche vor Weihnachten.
    Heulen macht mir keinen Spaß. Es braucht schon einiges, bis bei mir Tränen fließen. Trocknen konnte ich sie nicht.
    Was sollte ich tun? Die gewohnten Methoden, um mich abzureagieren, konnte ich nicht mehr nutzen. Mein Gott, warum nimmst du mir ausgerechnet das, was mir im Leben am wichtigsten war, mich mit am meisten ausmachte?
    Mein Gebet wurde ungerecht. Ich rang mit meinem Bild von Gott und mit dem Warum? Ich dachte: Es kann doch nicht sein, dass ich diesen Auftritt unter so eine hohe Führung stelle, und dann lässt mich diese Führungskraft derart im Stich!
    Und am meisten ängstigte mich die Sorge: Was wäre, wenn Gott gar nicht will, dass ich wieder laufen kann?
    Meine Gedanken liefen Amok. Zerfaserten sich in absurden Szenarien, die in ihrem Tempo die Bewegungslosigkeit meines Körpers auszugleichen versuchten.
    Es gab Augenblicke in diesen ersten Tagen in Nottwil, in denen ich anfing zu begreifen, warum Menschen verrückt werden. Ich war ja im wahrsten Sinne des Wortes in einem ver-rückten Zustand. Nichts war mehr so, wie es vorher war. Mein Leben war komplett zerlegt worden.
    Vielleicht wäre ich in diesen Wochen Gefahr gelaufen, verrückt zu werden, wenn nicht meine Familie und meine Freunde da gewesen wären, die mich vor dem totalen Absturz bewahrten, indem sie mich ablenkten. Ich hatte depressive Gedanken, aber auch optimistische.
    Absurderweise war ich manchmal überraschend gut drauf. Insgesamt erinnere ich mich, eher abwartend gedacht zu haben: Schauen wir mal, was ist, wenn der spinale Schock abgeklungen ist.
Mit „James“ gegen die Panik
    Sogar die Kommunikation war ein Problem. Denn auch im Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil kann nicht Tag und Nacht jemand neben einem Patienten wachen. Die üblichen Rufgeräte, die über Tasten oder Schalter bedient werden, scheiden aus – ein Gelähmter kann ein solches Teil nicht bedienen. Doch die Schweizer sind ja ein erfinderisches Völkchen. Es gibt daher eine Spezialvorrichtung, damit die Patienten die Schwestern rufen können. Sie wird mit dem Mund bedient. Da sie eine Art Butler darstellt, trug sie den

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