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Samuel Koch - Zwei Leben

Samuel Koch - Zwei Leben

Titel: Samuel Koch - Zwei Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fasel
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Namen „James“.
    â€žJames“ ist ein dünnes, spitzes Blasrohr, das an einem Stahlstativ über dem Gesicht des Patienten hängt und ihm über eine Saug-oder Blassteuerung die Möglichkeit gibt, Signale zu senden, die dann im Stationszimmer als akustischer Alarm aufschlagen – von denen es dort sowieso schon wimmelte. Auf der Intensivstation herrschte ein unvorstellbarer Lärmpegel, ständig piepste es irgendwo. Ich wurde gefragt: „Möchtest du saugen oder blasen?“ Ich entschied mich für die Blassteuerung.
    Viele meiner Mitpatienten schliefen mit diesem Kunststoffrüssel im Mund, weil sie Angst hatten, ihn ihm Schlaf zu verlieren und dann nicht wieder erreichen zu können, wenn sie Durst hatten oder andere Hilfe benötigten.
    Ich habe das Ding nie gemocht. Klar, man fühlte sich damit sicherer. Es war in langen Nächten wenigstens die letzte Möglichkeit, mit der Welt da draußen zu kommunizieren. Aber für mich blieb „James“ ein „Gesichtsfeldkerker“. Denn es störte mich, dass das blöde Vieh mir ständig im Gesicht rumhing und zu sagen schien: Die hören dich da draußen nur, wenn du mich benutzt! Ich bin wichtig!
    Auch hier machte ich die üble Erfahrung: Du bist ausgeliefert. Dennoch habe ich es mit der Zeit geschafft, mir den „James“ wenigstens Stückchen für Stückchen vom Hals zu schaffen. Hing er anfangs gerade so dicht vor meinen Lippen, dass er sie berührte, habe ich es schließlich auf drei Zentimeter Entfernung gebracht.
Leben im Gestell
    Bereits in Düsseldorf wurde das erste Mal der Halofixateur an meinem Kopf angebracht. Das ist ein Ring aus Metall, der den Kopf umschließt. An ihm befinden sich vier Pins, die zur Stabilisierung in die äußere Lamelle des Schädelknochens geschraubt werden. Die Pins gehen durch die Haut hindurch und sitzen auf der Schädeldecke. Der Ring ist weiterhin über Stäbe mit einem Korsett aus Kunststoff verbunden, um die Halswirbelsäule zu arretieren. Das Korsett besteht aus Brust- und Rückenplatte, verbunden mit Laschen zum Anpassen, und ist mit Lammfell gefüttert. Der Fixateur soll den Kopf ruhigstellen und stützen und so die Wirbelsäule entlasten, damit die Wirbelkörper wieder zusammenwachsen können. Die Brustweste stützt den Kopf und die Wirbelsäule von unten.
    In Nottwil bekam ich immer noch schlecht Luft. Ich wurde daher weiterhin beatmet. Es fühlte sich schrecklich an, nicht selbst atmen zu können. Immer und immer wieder spürte ich Panik, Angst vor dem Ersticken, und es gab auch einige Gelegenheiten, bei denen es tatsächlich beinahe so weit gekommen wäre. Die Brustweste, die den Fixateur stützte, machte mir das Atmen noch schwerer. Die Ärzte entschieden sich deshalb, die Halterung des Fixateurs in meinem Kopf umzuschrauben und statt der Weste mit Gewichten zu arbeiten, die den Kopf nach oben zogen, um die Wirbelsäule zu entlasten und zu strecken. Fünf Kilo hingen an der Konstruktion.
    Aus den Gesprächen mit den Ärzten erfuhren wir: Der oberste Halswirbel, Fachbezeichnung C1, umschließt als eine Art Unterlegscheibe das Rückenmark. Wenn man sich den C1 bricht und dabei das Rückenmark beschädigt wird, dann ist man normalerweise futsch. Das ist jedenfalls die häufigste Variante – Genickbruch, aus, Ende. Die zweite Möglichkeit: Man bricht sich den C1, ist nicht tot und behält auch keine Lähmung zurück, da das Rückenmark nicht beschädigt wurde. Solche Patienten gibt es auch – manchmal. Sie müssen bis zu eineinhalb Jahre mit einem Halofixateur herumlaufen, sind danach aber wenig beeinträchtigt.
    Bei mir lagen die Dinge leider komplizierter: Der Wirbel C1 war gebrochen, hatte aber das Rückenmark nicht verletzt. Auch der Wirbel C7 war zerstört, doch auch dieser hatte das Rückenmark nicht gravierend beschädigt, sondern lediglich die Halsschlagader. Die Lähmung war erst durch die spätere Einblutung verursacht worden.
    Mit der Halo-Methode sollte nun versucht werden, das Ganze „konservativ“ wieder zusammenwachsen zu lassen. Hier prallten aber gegensätzliche Therapieziele aufeinander: Auf der einen Seite hätte ich mindestens vier bis sechs Monate streng auf dem Rücken liegen müssen, um den Bruchstücken die Chance zu geben, möglichst unbehelligt wieder zusammenzufinden. Am besten ganz ohne falsche

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