Samuel Koch - Zwei Leben
Komplikationen war ich zu lange in einer Position geblieben und hatte mich wundgelegen. Deshalb wurde ich in ein Luftbett umgelagert, um weiteres Wundliegen zu vermeiden. So ein Luftbett kann ziemlich nervig sein, weil die ganze Nacht der Motor für das Gebläse läuft. Aber das war in diesem Moment meine geringste Sorge.
âLieber Gott, bitte!â
Als der Halofixateur endlich weg war, vergingen nach dem Aufwachen nur knapp zwei Minuten, bis ich ihn mir sehnlichst zurückwünschte.
Was ich vorher unterschätzt hatte, war, dass ohne den Fixateur die Entlastung durch die 5 Kilo des Zuggewichts wegfiel und das Gewicht meines Kopfes nun auf die Halswirbelsäule drückte. Ich trug zwar einen Halskragen, aber der konnte meinen Nacken nicht ausreichend entlasten. Zwar waren einerseits die Beschwerden vom Fixateur und den Schrauben nun fort. Aber umso heftigere Schmerzen im Nacken nahmen unverzüglich ihren Platz ein, sodass ich mich nach dem Halo zurücksehnte.
Ich war oft verzweifelt, weil die Schmerzen nicht weggingen. Weil immer neue kamen. Meine Eltern wissen am besten, was für dunkle Zeiten ich durchlebt habe. Wie oft ich vor Schmerz ohnmächtig wurde. Wie sehr sie mich unterstützen mussten.
âSamuel hat wirklich schwerste Stunden hinter sichâ, sagt meine Mutter. âEr ist da nicht als Strahlemann durchgegangen. Das, was er an Leid und vor allem an Verlust durchlitten hat, würde jeden Menschen an die Grenzen seines Fassungsvermögens bringen!â
Meine Eltern und Geschwister stützten mich in dieser Zeit, indem sie da waren, meine Ausbrüche ertrugen und meine inneren und äuÃeren Qualen linderten, wo sie nur konnten. âWir haben immer wieder mit Samuel gemeinsam um Linderung der Schmerzen gebetetâ, sagt mein Vater. âUnd dabei hat er schon ziemlich mit Gott herumargumentiert. Samuel hat zum Beispiel gesagt: Diese Schmerzen sind doch total unnötig! Sie nützen niemandem etwas. Sie nehmen nur die Kraft, das alles zu bewältigen. Gehtâs denn nicht auch ohne? â
Diskutiert habe ich. Zwischendurch habe ich auch regelrecht um Hilfe gefleht . Denn ich weiÃ: Gott betreibt keine Bestellannahme für menschliche Wünsche und Forderungen. Und erst recht keine Reklamationsabteilung, wenn sie nicht erfüllt werden. Andererseits fordert er uns in der Bibel immer wieder auf, mit unseren Bedürfnissen und Ãngsten zu ihm zu kommen, sie ihm hinzuhalten und darauf zu vertrauen, dass er etwas Gutes damit anfängt. Auch wenn das nicht unbedingt dem entspricht, wie wir es uns vorgestellt haben.
In diesem Spannungsfeld bewegte ich mich auch, und Gott hat mir nicht einfach die Schmerzen genommen. Ich spürte aber durchaus, dass ich mich nach diesen Gebeten immer ein Stück befreiter und ruhiger fühlte.
Die Rahmenbedingungen wurden erst mal nicht besser. Durch die neuen Komplikationen musste ich länger auf der Intensivstation bleiben, als ich gehofft hatte.
Wenn ich auf diese Phasen zurückblicke, ist es für mich selbst wirklich erstaunlich, dass ich nicht durchdrehte und auch nicht depressiv oder zornig wurde. In den ersten Wochen hat sich âMurphyâs Lawâ an mir total ausgetobt: Ich hatte das Gefühl, dass alles, was schiefgehen konnte, schiefgegangen ist.
Für mich bedeuteten die ersten drei Monate in Nottwil eine extrem harte Schule. Solche Qualen hatte ich vorher noch nie aushalten müssen. Die Erfahrungen waren so grenzwertig und durch Medikamente getrübt, dass manches aus meiner Erinnerung gedrängt wurde. Selbst heute kann ich nicht begreifen, dass eine Verletzung, deren Ursache schon über ein Jahr zurückliegt, immer noch solche Schmerzen auslöst.
Therapiealltag
März 2011. Die ersten drei Monate in Nottwil waren vorbei. Sie waren mir vorgekommen wie drei Jahre. Aber nach dieser Zeit war immer noch nichts Greifbares da, was ich als Heilungsfortschritt hätte wahrnehmen können. Im Dezember hatte mein weltbester Physiotherapeut Hagen ein Zucken im Bizeps bemerkt, wo vorher nichts war. Immerhin. Doch damit war die Aufzählung der Fortschritte in den ersten drei Monaten der Rehabilitation schon komplett.
Hagen, ein kantiger Typ aus Leipzig, ging bei der Therapie jedes Mal ein bisschen mehr über meine Grenzen hinaus.
Nach einigen Monaten lieà er mich sogar ganz allein sitzen â natürlich nicht im wörtlichen Sinne, er half mir nur, eine Position zu
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