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Samuel Koch - Zwei Leben

Samuel Koch - Zwei Leben

Titel: Samuel Koch - Zwei Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fasel
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Bewegung. Ein zweites Therapieziel aber stand dem entgegen: Ich sollte so früh wie möglich in Bewegung gebracht werden, damit die Körpersäfte wieder in Wallung geraten können, der Kreislauf wieder in Schwung kommt.
    Wie sollte das nun in der Praxis aussehen? Platt auf dem Rücken zu liegen provoziert sehr schnell wunde Stellen. Also musste ich bewegt werden, trotz meines Fixateurs. Das passierte jeden Tag mindestens zweimal zur Körperpflege. Zu Beginn brauchte es vier Personen dazu. Zwei am Körper, eine mit Halsschienengriff und eine, die die Seilzugkonstruktion mitbewegte.
    Die Schrauben, die in meinem Schädel verankert waren, übertrugen jede kleinste Erschütterung ohne Umwege direkt auf meine Knochen. Und zwar dahin, wo ich nicht nur etwas spürte, sondern noch schmerzempfindlicher geworden war als zuvor – in Kopf und Hals.
    Jeden Morgen zum Waschen, jeden Abend zum Schlafengehen die gleiche Prozedur: Vier Menschen packten mich und drehten mich möglichst synchron und mit möglichst wenig Erschütterung herum. Das nannte sich „ En bloc -Drehen“ und brauchte Zeit. Bald begann es mir davor zu grausen, weil das Drehen trotz aller Vorsicht mit üblen Schmerzen verbunden war. Nach einigen Tagen war ich so perfekt konditioniert, dass ich schon bei der kleinsten Berührung des Betts zusammenzuckte. Dies war auch dadurch bedingt, dass meine restlichen Sinne wohl überreizt waren und auf alles extrem sensibel reagierten. Jedes unerwartete Geräusch erschien mir viel lauter als gewöhnlich und ließ mich zusammenfahren. Genau wie jede überraschende Bewegung in meinem Gesichtsfeld.
    Trotz meines labilen Zustands wollten die Ärzte versuchen, mich zu mobilisieren. Das bedeutete: Fünf Mann hoben mich mitsamt Halofixateur und Gewichten in einen Rollstuhl, um mich für kurze Zeit in eine sitzende Position zu bringen. Die Schmerzen wurden dabei unerträglich. Die Pfleger versuchten mir mit Schmerzmedikation so gut wie möglich zu helfen. Das war einfach – in meinem Körper fand sich mittlerweile eine ganze Kollektion von Zugängen an beiden Armen und in der Brust. Es gab also genügend Möglichkeiten, mich mit dem Stoff zu versorgen, aus dem die Träume sind.
    Das hat mit Sicherheit geholfen, zum Teil aber auch nicht. Das Ganze war ein geradezu absurder Aufwand, dazu noch die Verantwortung, die die Menschen trugen, die mich mitsamt meinem Maschinenpark in den Rollstuhl heben mussten. Dabei durfte ihnen kein noch so kleiner Fehler unterlaufen. Eine Unachtsamkeit, und weitere Verletzungen meiner Wirbelsäule hätten die Folge sein können.
    Der Rollstuhl, in den ich gehievt wurde, hatte eine Spezialhalterung, in die mein Kopf mit dem Halofixateur sozusagen „eingehängt“ wurde; ein Halskragen stützte meine Wirbelsäule zusätzlich. Die ganze Prozedur zog sich über eine halbe Stunde hin.
Schmerz, lass nach
    Schon beim Ansatz zum ersten Versuch merkte ich, dass die Schmerzen meine Kräfte bei Weitem überstiegen. Der Intensivpfleger, der den Transport vom Bett in den Rollstuhl begleitete, hielt einen Schalter in der Hand. Eine sogenannte Bolus-Medikation, mit der er stoßweise Morphine, also starke Schmerzmittel, freisetzte, die ich gut gebrauchen konnte.
    Mit solcher Art von Schmerzen umzugehen war eine bittere Lektion, die ich neu zu lernen hatte. Hatte ich in Düsseldorf noch gedacht, es ginge nicht schlimmer, so stellte ich in Nottwil fest: Steigerungen sind jederzeit möglich. Die internationale Schmerzskala schien nach oben unbegrenzt offen zu sein.
    Beim zweiten Versuch der Mobilisierung verlor ich vor Schmerzen das Bewusstsein und war nicht mehr zurückzuholen. Meine Betreuer schlugen Alarm; die Sache war ihnen nicht geheuer. Sie schoben mich mitsamt Halofixateur in den Magnetresonanztomografen, kurz MRT genannt. Mithilfe dieser speziellen Durchleuchtungstechnik, die mit Radiowellen statt Röntgenstrahlen arbeitet, kann man kleinste Veränderungen im Inneren des Körpers sichtbar machen und, anders als beim ursprünglichen Röntgen, diese Abbildungen schichtweise vornehmen. Der Vorteil: Dabei kommt nur ein Bruchteil der Strahlenbelastung heraus, die beim herkömmlichen Röntgen entsteht. Der Nachteil der Methode: Die Röhre vibriert und hämmert, wenn man drin liegt.
    Und ich trug leider diesen wunderbaren Resonanzkörper namens Halofixateur. Das Metall der

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