Samuel Koch - Zwei Leben
Stützkonstruktion nahm minutiös jedes Klopfen und Vibrieren der Maschine auf und übertrug es zielgenau über die Schrauben, mit denen es in meinem Schädel montiert war, mitten in den Kopf und Nacken, was mich unsanft weckte. Nein! Nicht noch mehr Schmerzen! Mein Schädel platzt! Meine Wirbelsäule explodiert! Ich gehe kaputt!!
Ich hielt es einfach nicht mehr aus. Deshalb sprach ich mit dem Pflegepersonal ein Signal ab: Wann immer das ReiÃen, Pochen, Hämmern, Ziehen, BeiÃen in meinem Kopf und Nacken zu stark wurde, würde ich die Zunge herausstrecken, denn schreien konnte ich ja nicht, und das MRT-Gerät war ohnehin zu laut.
Der Halofixateur vibrierte die ganze Zeit weiter. Ich kann den Augenblick genau definieren: Bei dieser Untersuchung im MRT fühlte ich mich so, wie Ãrzte das mit dem Begriff âpräfinalâ beschreiben würden. Auf gut Deutsch: Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, es geht mit mir zu Ende. Noch nie hatte ich mich Gott so nah gefühlt â oder so fern. Selbst die Pfleger fragten sich, ob ich die Prozedur überleben würde. Ich weià noch, wie ich dachte: Wo bist du, Gott? Hat das bald ein Ende? Wann bin ich im Himmel?
Die Untersuchung ergab nichts Neues. Mein Bewusstseinsverlust war wohl eine Verbindung aus zu groÃen Schmerzen und dem Abdrücken der noch funktionierenden Halsschlagader durch den Stützkragen.
Raus aus dem Bett!
Ich hatte auch das überlebt. Mobilisationsstopp. Die Ãrzte berieten sich, wie es nun weitergehen sollte. Das Ergebnis: Statt der angekündigten sechs Monate verbrachte ich insgesamt nur rund zehn Wochen mit dem Fixateur im Kopf.
Aus therapeutischer Sicht war das durchaus eine bemerkenswerte Entscheidung. Die gute Nachricht lautete, dass Kreislauf und Muskulatur etwas besser gestärkt werden konnten, was meinem Gesamtzustand helfen sollte. Die Kehrseite war: Wir gingen damit das Risiko ein, dass die Halswirbel zu wenig Ruhe zum Zusammenwachsen hatten.
Heute wissen wir: mein Kopf, befreit vom Halofixateur, drückte so stark auf die Wirbelsäule, dass er die Bruchstücke des Wirbels C1 während des weiteren Heilungsprozesses auseinandertrieb. Es blieb ein Spalt zurück, der die Stabilität des Knochens beeinträchtigte. Die Folgen lieÃen sich an den neuen Aufnahmen ablesen, die ich zu sehen bekam: Die Ãrzte bestätigten mir, dass sich die C1-Bruchstücke weitgehend verabschiedet und damit keine Funktion mehr hatten. Das hatte zur Folge, dass mein Kopf direkt auf dem zweiten Halswirbel anstieà â was wiederum ständige Reizungen, eine gewisse Instabilität und eine permanente Schmerzquelle bedeutete. Keine unbedingt erfreuliche Situation.
Trotzdem, ich wollte endlich raus aus dem Bett! Davor aber stand noch ein Schritt: Erst musste der Fixateur abmontiert werden. Praktischerweise verbanden die Ãrzte in Nottwil diesen Eingriff mit einem zweiten, der ebenfalls anstand.
Ob durch mein Sprechtraining vor dem Unfall, eine unsymmetrische Einblutung oder eben ein Wunder bedingt, zeigte mein Zwerchfell überraschend viel Eigenaktivität, sodass ich zum Erstaunen aller relativ bald wieder selbstständig atmen konnte. Nach einer skeptischen Testphase nur mit einem Platzhalter in der Luftröhre entschied man, den Luftröhrenschnitt wieder zu verschlieÃen. Da dieser chirurgisch angelegt worden war, bedurfte das einer Operation. Ich wurde also in Vollnarkose gelegt, um beide Programmpunkte auf einen Schlag abzuarbeiten.
Der Fixateur wurde herausgeschraubt. Das Loch in meinem Hals zugenäht. Routine.
In den Tagen danach erhielt ich die übliche Blutverdünnung. Dabei hatte ich nicht nur kein Glück, es kam auch noch Pech dazu: Das verdünnte Blut bahnte sich einen Weg durch die frischen Operationsnähte und bildete einen groÃen Bluterguss an meiner Luftröhre, just an dem Loch, das gerade verschlossen worden war. Wegen des Hämatoms konnte ich den Halskragen nicht tragen, den ich eigentlich rund um die Uhr anhaben musste. Auch nach innen blutete es.
Es war Wochenende. Der HNO-Spezialist musste noch mal anrücken. Der Versuch, die Naht teilweise zu öffnen, damit das Blut abflieÃen konnte, misslang. Die Naht ging auf, und mir platzte im wahrsten Sinne des Wortes der Kragen. Was für eine Sauerei!
Diesmal wurde der Luftröhrenschnitt nicht wieder vernäht, sondern sollte mit der Zeit von selbst zuheilen.
Durch die
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