Samuel Koch - Zwei Leben
Ãffentlichkeit: ,Wann dürfen wir für euch kochen?â, hieà es da. Oder: ,Ihr braucht eine Rampe für den Hauseingang?â Sechs Wochen später stand sie parat. Jonathan wurde zum Sport kutschiert. Das Gärtchen vorm Haus wurde hergerichtet, die Obstbäume vom Nachbarn professionell beschnitten.
Inzwischen hatte sich eine Gruppe via Facebook gefunden, eine verschworene Gemeinschaft hauptsächlich junger Mädchen von überallher, die Sunshine Ladies oder kurz Sunnys. Freunde fürs Leben. Sie treffen sich irgendwo in Deutschland, einfach so oder wenn sie die Möglichkeit haben, Samuel irgendwo zu sehen. Die Sunnys haben Samuel sogar einen Stern geschenkt, der nach ihm benannt wurde, 136 Lichtjahre entfernt. Viele, viele gute Wünsche und Geschenke haben wir erhalten. Die Kreativität in dem Bemühen, Samuel aufzumuntern, ihn zum Lachen zu bringen, ihm Mut zu machen, scheint grenzenlos. Was sich auch in immer noch täglich eintreffenden E-Mails zeigt.â
Schöne und weniger schöne Stimmen
Die negativen Stimmen, die sich in der Post an uns fanden, waren insgesamt nicht mehr als eine Handvoll. âTrotzdem bleibt das hängenâ, sagt mein Vater, âauch wenn man so etwas nicht zu Ende liest. Es macht aber keinen Sinn, sich mit so negativen Dingen zu befassen. Erst recht nicht in dem Zustand, in dem wir uns befanden.â
Es gab auch gut gemeinte Zuschriften und Anrufe, die mir trotzdem nicht unbedingt Freude bereitet hätten. Besonderes Interesse an meinem Gesundheitszustand zeigten zum Beispiel viele Wunderheiler und selbsternannte âSchamanenâ, meist mit âtypisch schamanischenâ Vornamen wie Rudolf oder Hans-Jürgen. Sie wollten mir alternative Wege zur Heilung in Form ihrer Bücher oder Rituale nahebringen, und ihre Jünger wirkten kräftig mit: âWir haben allein an die zwanzig Exemplare der Bücher eines Autors ins Haus geschaufelt bekommenâ, erinnert sich meine Mama. âDas war bestimmt alles gut gemeint, aber wir hatten uns für einen anderen Weg entschieden.â
Dann kam auch eine andere Art von Zuschriften, bei denen die Intention ganz sicher nicht nett war und die ich nur teilweise zu Gesicht bekam. âDa gab es ein paar Leute, die uns als Schmarotzer der Krankenversicherung und des Sozialsystems beschimpftenâ, so mein Vater. âDer Tenor dieser paar Zuschriften war: Der Junge hat ja diesen Irrsinn freiwillig veranstaltet, dann soll er doch selbst zahlen und nicht alles von unserer Krankenversicherung ersetzt bekommen, in die wir einzahlen!â Solche Zuschriften wiesen einen aggressiven Tonfall auf, den meine Eltern mir wohlweislich ersparen wollten.
Sogar in der Klinik begegnete ich manchmal Neid. âNa, du hast ja keine Geldsorgen, du bist schlieÃlich berühmt. Deine aufwendige Behandlung bezahlt ja das ZDF!â, ätzte es mir da ab und zu in Gesprächen mit Mitpatienten entgegen. Zwar erhielt ich vom ZDF einen pauschalen Betrag der obligaten Versicherung, Tatsache ist aber, dass meine ganz normale gesetzliche Krankenkasse für den gröÃten Teil der Behandlungskosten aufkommt.
Es gab auch Menschen, die sich darüber aufgeregt haben, dass die Medien einen solchen Hype um mein Schicksal veranstalteten. Das ging mir übrigens genauso; ich hatte mir das ja nicht ausgesucht. Im Gegenteil, oft fühlte es sich reichlich seltsam an, wenn ich mich mit anderen Patienten unterhielt, die teilweise schon mehr über meinen aktuellen Gesundheitszustand wussten als ich selbst. Dies führte zu relativ einseitigen Gesprächen, in denen ich mich oft zu einer Kummerkastentante reduziert fühlte.
Ich habe diese Form von Unmut, die mir in einigen Fällen entgegenschlug, akzeptiert, obwohl es mich schon runtergezogen hat. Zuerst habe ich versucht, mich zu rechtfertigen, aber solche Diskussionen führten zu nichts.
Es ist sinnlos zu fragen, wem von uns, die wir in der Klinik in Nottwil im Rolli umherfuhren, es nun am schlechtesten oder besten ging. Das kann nur absurd werden, denn Leid ist relativ. Man kann Schicksale nicht miteinander vergleichen. Mir kann es gefühlt besser gehen als manchem kerngesunden und stinkreichen Menschen, der keinen Sinn in seinem Leben und seinem Schnupfen sieht. Und auch ich selbst hatte früher schon Momente erlebt, in denen bei mir alles ganz finster aussah und ich mich fragte, was ich hier eigentlich sollte. Darüber kann ich nun
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