Samuel Koch - Zwei Leben
zumindest stichprobenartig zu überfliegen.
AuÃer meiner Familie haben mir viele wirklich gute Freunde mit all ihren Möglichkeiten, Rat und Tat zur Seite gestanden. Da gab es Chris, meinen besten Freund seit Sandkastenzeiten, mit dem ich schon die wildesten Dinge erlebt hatte und der auch jetzt trotz eigener Schwierigkeiten fast jeden freien Moment mit mir verbringt. Johanna und Sarah aus Hamburg, die mir sowohl über das Telefon als auch live an meinem Bett Gutenachtgeschichten aus der Kinderbibel vorlasen. Sepp, die treueste Seele weit und breit, den ich zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen könnte, wenn ich nicht immer warten würde, bis er es tut. Gergö, der wahrscheinlich am ehesten nachvollziehen kann, was es heiÃt, seinen immerzu sprudelnden Bewegungsdrang nicht ausleben zu können, und der mit mir auch deshalb noch nachts um 4:00 Uhr Krankengymnastik und Dehnübungen macht. Mein Schauspiel- und Glaubensbruder Jonathan, mit dem ich weinen und vor allem auch viel lachen kann. Mirjam, die keinen Flug aus Hamburg gescheut hat, um mit mir auch gewagte Expeditionen jenseits des geschützten Klinikumfeldes zu starten. Und vor allem Daniela, die mich im letzten Jahr besonders begleitet und selbstlos unterstützt hat.
Sie haben nicht nur die Nachtdienste übernommen, sondern machten mit mir Atemtherapie, halfen mir beim Zähneputzen, simulierten den Halo durch fachgerechtes Ziehen an Nacken und Kopf, wenn ich Schmerzen hatte, und auÃerdem lasen sie mir vor. Sie haben mich auch auf Konzerte, in Bars oder ins Casino geschleift und müssten für ihren Einsatz mindestens einen Gummipunkt verliehen bekommen.
So halfen mir Freunde und Familie dabei, jeden Tag mit meinem Pensum durchzukommen. Die Krankenschwestern in der Klinik waren meist dankbar für die Unterstützung. Und für mich war es eine groÃe Erleichterung, dass ich nicht mehr auf den âNachtfalterâ angewiesen war.
Auch die Schwestern haben mir vorgelesen. Ãberhaupt waren viele bereit, sich auf etwas unkonventionelle Ideen einzulassen, wofür ich sehr dankbar war. Eine meiner Lieblingsschwestern kam sogar einige Male meiner Bitte nach, das Bett umzupositionieren, um gemeinsam den Sonnenaufgang zu genieÃen.
Zu manchen der Schwestern und Pfleger entwickelte sich mit der Zeit ein tiefer, vertrauter Kontakt, der auch persönliche Themen nicht aussparte. Losgelöst von meinem Körper, dem ich früher so viel Aufmerksamkeit und Zeit gewidmet hatte, lag es nahe, das eine oder andere Gespräch mehr zu führen, welchen ich manchmal aber auch ausgeliefert war. Meist waren sie allerdings eine willkommene Ablenkung und gaben meinem Kopf eine sinnvolle Beschäftigung.
Eines Tages wandte sich eine Pflegerin an mich, die mir von einer jungen Schicksalsgenossin erzählte, die auch in Nottwil zur Erstrehabilitation war und sich scheinbar schlechter als ich mit ihrer Situation abfinden konnte. Bald nachdem wir uns besser kennengelernt hatten, berichtete mir die Pflegerin: âMensch, Samuel, das Mädel lacht wieder!â Ich freute mich darüber mindestens so sehr wie sie.
Andererseits war meine Toleranzschwelle niedriger geworden. Wenn mir mal wieder eine Pflegerin ausführlich von den neuesten Erlebnissen ihrer Katze berichtete, merkte ich schnell, wie meine Geduld erlahmte. Auch die Tatsache, dass ständig jemand um mich herum sein musste und ich so gut wie keine Rückzugsmöglichkeiten mehr hatte, machte mir zu schaffen. Vor, während, zwischen und nach der Therapie waren Menschen um mich, ständig klingelte mein Handy. Deshalb war ich mehr als froh über die Möglichkeit, einen letzten Rest von Privatsphäre in einem Einzelzimmer zu haben.
Ich war dankbar für die Zuwendung und die guten Wünsche und freute mich, viele alte Freunde wiederzusehen. Oft war ich dann aber auch froh, wenn die Tür hinter dem Tag ins Schloss fiel und ich einmal durchatmen und mich besinnen konnte.
Sobald ich einigermaÃen selbstständig mit dem Elektrorollstuhl fahren konnte, versuchte ich mir auch tagsüber immer wieder bewusst Zeiten zu nehmen, die ich ganz allein auf dem Klinikdach, dem Balkon oder in der Natur verbrachte und in denen ich die Ruhe genoss, versuchte zu singen oder einfach nur hinhörte. In diesen Momenten fühlte ich mich manchmal trotz allem wohl und ausgeglichen.
Damaris (Pflegefachfrau in Nottwil):
Samuels Zimmer 308 war immer eine Oase für
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