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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
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Langeweile, weiß ich nicht. Jedenfalls kehrte ich mit dem Manuskript zu meinem Platz zurück und begann darin zu blättern.
    Das Buch begann mit einer Art Vorwort oder Grundsatzerklärung:
     
    Alles Licht hat seinen Schatten. Die vermeintlich harmlosesten Menschen halten eine Welt in sich verborgen, in der unvorstellbare Dinge geschehen. Wenn wir durch Zufall dort hineingeraten, überkommt uns ein Gefühl von Unruhe und Furcht, als dringe man in einen fremden Garten ein.
    Plötzlich stellen wir fest, dass wir etwas, das schon immer da war, noch nie bemerkt haben. Der nächste Schritt besteht darin, das Territorium des Zweifels auf angrenzende Felder auszudehnen. Von da an kann die Schattenregion uns an nie gedachte Orte führen. Letzten Endes ist die Unterseite der Münze genauso groß wie die Oberseite.
    Vielleicht entdeckst du, dass du keine Ahnung hattest, wer an deiner Seite lebt, oder dass du bisher die Augen zugemacht hast, um es nicht zu sehen. Und du wünschtest, du hättest diese erste Entdeckung, die dich aus dem bequemen Alltagstrott gerissen hat, niemals gemacht.
    Darum ist es manchmal ratsam, nicht alles wissen zu wollen.
     
    Einen Moment lang saß ich verwirrt da und wusste nicht, was ich davon halten sollte. Diese Einführung erklärte nicht im Geringsten, auf was das Ganze abzielte.
    Meine Neugier war geweckt und ich wollte gerade weiterlesen, als ich zufällig aufsah. Der Bärtige kam mit zornigem Schritt über die Straße gestapft. Zwar war esoffensichtlich, dass seine Wut nicht mir galt – er sah mich nicht einmal an –, sondern sich selbst, weil er das Manuskript auf dem Tisch vergessen hatte. Dennoch bekam ich es mit der Angst, legte das Manuskript auf seinen Tisch zurück und machte, dass ich wegkam. Ich drehte mich nicht noch einmal um.

VORLÄUFIGES INHALTSVERZEICHNIS
    Die Begegnung mit dem Bärtigen und seinem Manuskript hatte mich in größte Unruhe versetzt, als würde es nicht ohne Folgen bleiben, dass ich etwas gelesen hatte, was nicht für mich bestimmt war.
    Aber was war es eigentlich, das ich da gelesen hatte?
    Womöglich hatte mein kühner Schritt einen Orkan von kleinen Ereignissen entfesselt – der Schmetterlingseffekt –, deren zerstörerische Konsequenzen erst sichtbar würden, wenn alles zu spät war.
    Das jedenfalls dachte ich im Nachhinein. Ich hätte der Sache wahrscheinlich keine weitere Bedeutung beigemessen, hätte ich nicht, während ich mir zu Hause mein Mittagessen kochte, das Radio eingeschaltet.
    Ich drehte auf der Suche nach einem Sender mit guter Musik am Rädchen, als die Klänge einer Siebzigerjahre-Gitarre mich innehalten ließen. Normalerweise höre ich lieber klassische Musik oder Jazz, aber es gibt auch ein paar Rock-Klassiker, die mir gefallen, unter anderem auch Pink Floyd, die hier gerade gespielt wurden.
    Mit lässiger, tiefer Stimme kommentierte der Sprecher die Platte:
     
    ... Eines der symbolträchtigsten Alben aller Zeiten, fünfundzwanzig Millionen verkaufte Exemplare seit seinem Erscheinen 1973. Nachdem sie das Material live vorgestellt hatten, schloss sich die Band in den legendären Abbey Road Studios ein. Als Toningenieur engagierten sie Alan Parsons, der mit der neuen Dolby-Technik auf 16 Spuren ein wahres Meisterwerk vollbrachte. Eine Aufnahme voller Überraschungen. Wir freuen uns, unseren Hörern die neu abgemischte Version des Klassikers Dark Side of the Moon präsentieren zu können ...
     
    Mir wurde wieder flau, und so schloss ich mich in Titus’ Arbeitszimmer ein, um diese Geschichte schnell zu vergessen. Wenigstens solange ich mich mit der Arbeit an dem Buch herumschlug, war ich vor diesem Schattenraum sicher, der sich immer mehr über mir ausbreitete.
    »Der Zufall ist der Schatten Gottes«, hatte Titus gesagt.
    »Bitte keine Schatten mehr«, murmelte ich in mich hinein, während ich den Laptop einschaltete.
    Mishima war mir ganz selbstverständlich gefolgt und schlummerte nun unter dem Tisch mit der Eisenbahn. Ein kleiner Ofen heizte ordentlich ein und verströmte dabei betäubende Gase.
    Auf dem Desktop fand ich eine Datei mit dem Namen Kleiner Lehrgang in Alltagsmagie . Beim Öffnen des Dokuments stellte ich fest, dass sie außer dem Titel kaum Text enthielt.
    Diese Anthologie schrieb Titus unter dem Namen Francis Amalfi, einem seiner zahlreichen Pseudonyme. Da das Buch nun mein Job war, war dies nun auch mein Pseudonym, meine zweite Persönlichkeit.
    Ich scrollte herunter bis zum Inhaltsverzeichnis. Das war alles, was Titus

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