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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
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bislang zu Papier gebracht hatte, der Rest des Dokuments bestand aus leeren Seiten. In der vagen Hoffnung, dass mir dazu irgendetwas Passendes einfallen würde, las ich mir die Überschriften der Kapitel durch:
     
    Inhaltsverzeichnis (vorläufig)
     
    0. Vorwort: Willkommen in der Magie des Alltags
    1. Die Schätze der Einsamkeit
    2. Tägliche Streicheleinheiten für die Seele
    3. Die Blumen des Zufalls
    4. Das Herz in der Hand
     
    Das ist nicht allzu viel, dachte ich seufzend und war bereits bei dem Gedanken an die Aufgabe, die mir bevorstand, vollkommen erschöpft. Nicht einmal das Inhaltsverzeichnis war fertig, und Titus erwartete jetzt von mir, dass ich ein ganzes Buch mit nicht einmal fest definierten Inhalten füllte.
    Als pragmatischer Mensch beschloss ich, zuerst das Inhaltsverzeichnis zu vollenden und dann mit dem eigentlichen Text zu beginnen. Ich tippte eine 5 und starrte auf die leere Zeile daneben, als könnte dort plötzlich aus dem Nichts etwas auftauchen. Ein unvermittelter Maunzer von Mishima weckte mich aus meinem dumpfen Brüten.
    »Danke für den Tipp«, sagte ich zu ihr und schrieb die nächste Überschrift:
     
    5. Katzenphilosophie
     
    Vielleicht war das nicht unbedingt brillant, aber ich fand es lustig, dieses Kapitel einer Katze zu überlassen, auch wenn ich nicht die geringste Ahnung hatte, was darin stehen sollte.
    Motiviert von diesem ersten Erfolg widmete ich mich Punkt Nummer sechs und überlegte, dass es schön wäre, auch irgendeine Art Wörterbuch mit aufzunehmen. Ich könnte ein paar Einträge aus They have a word for it verwenden, wenn mir nichts anderes einfiel. Vorerst nannte ich das Kapitel:
     
    6. Die Geheimsprache
     
    »Das klingt gut«, beglückwünschte ich mich begeistert. Bekanntlich führt eins zum anderen, und so schrieb ich, fast ohne es zu merken, die Überschrift des letzten Kapitels, die das Inhaltsverzeichnis abschloss:
     
    7. Liebe im Kleinen
     
    Stolz betrachtete ich die Nummer sieben, die ja meine ureigene Erfindung war. Vielleicht war es deshalb das einzige Kapitel, zu dem ich eine klare Vorstellung hatte. Zuerst sollte es eine Einführung zur »Kraft der kleinen Taten« geben, dann käme eine Liste mit den Dingen, die die »Liebe im Kleinen« auslösen.
    Ans Ende des Dokuments schrieb ich:
     
    #1. Einer Katze Milch geben (obwohl sie das nicht verträgt)
     
    Das erinnerte mich daran, dass ich zum Tierarzt musste, um Mishima impfen zu lassen. Dort erwartete mich dieattraktive Frau mit der harten Schale und dem weichen Kern. So jedenfalls kam sie mir vor.
    Als ich den Computer ausschaltete, überkam mich eine unfassbare Müdigkeit, die mehr existenziell als physisch war. Besonders weit war ich nicht gekommen, und ich zweifelte daran, dass die ganze Arbeit überhaupt einen Sinn hatte.
    Dicht gefolgt von der Katze blieb ich einen Augenblick vor dem Bild des Wanderers stehen, das für mich eine Art Spiegel geworden war.
    »Wenn sich der Nebel lichtet, sag mir Bescheid.«

DER KANON NATÜRLICHER SCHÖNHEIT
    Mittlerweile kannte ich mich mit dem Verhalten der Katze ein bisschen aus. Daher hatte ich Mishima ins Schlafzimmer gesperrt, damit sie sich nicht verstecken konnte. Sie ahnte, was ihr bevorstand, und versuchte mit allen Mitteln, mich zum Öffnen der Tür zu bewegen.
    Bald merkte sie, dass es nicht reichte, an der Tür zu kratzen, also sprang sie zu mir aufs Bett, um mich mit lautem Maunzen zu wecken. Doch ich blieb hart, auch wenn das hieß, dass ich womöglich die ganze Nacht kein Auge zutun würde. Schließlich gab sie sich geschlagen und schlief zusammengerollt zu meinen Füßen ein.
    Bevor ich mir am nächsten Morgen Frühstück machte, sperrte ich sie in die Petbox. Mishima fing an zu winseln, und ich versuchte sie zu beruhigen, indem ich sie durch einen Spalt mit dem Finger kraulte.
    »So ist das manchmal im Leben«, sagte ich zu ihr. »Nimm es mir nicht übel.«
     
    Im Wartezimmer des Tierarztes saß ein sabbernder Pitbull, der uns drohend anblickte. Ich konnte beinahe spüren, wie sich Mishima in ihrer Box die Haare aufstellten. Vermutlich war sie jetzt sogar dankbar für ihrenKäfig. Der Besitzer des Pitbulls war ein junger Skinhead, der ebenso wenig vertrauenerweckend aussah wie sein Hund.
    Die Tür des Behandlungsraums ging auf, und eine ältere Frau mit lila gefärbten Haaren und einem Pudel auf dem Arm kam heraus. Der Pitbull begann nervös zu knurren und zu sabbern, doch eine feste Hand packte ihn am Halsband und zog leicht daran, um ihn zum

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