Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen
das meine ich. Ich werde dir von hier aus Anweisungen geben, dann ist es alles ganz einfach. Du kannst meine Schlüssel nehmen und mein Arbeitszimmer benutzen. Im Computer findest du eine entsprechende Datei.«
Wäre Titus nicht soeben dem Tod von der Schippe gesprungen, ich hätte das Weite gesucht und ihn niemals wiedergesehen. So etwas kann man von einem Akademiker, der seine Aussagen normalerweise mit Fußnoten und Bibliografien absichert, nun wirklich nicht erwarten.
»Ich nehme an, ich habe keine Wahl.«
»Stimmt, hast du nicht.«
»Wie soll das Buch heißen?«
»Kleiner Lehrgang in Alltagsmagie.«
MARILYNS LETZTER FILM
Ziemlich niedergeschlagen machte ich mich auf den Heimweg. Als hätte ich nicht genug damit zu tun, meine Seminare vorzubereiten, die Aufsätze zu korrigieren und meine Wohnung in Schuss zu halten, sollte ich mich jetzt auch noch in den alten Redakteur verwandeln und seine Arbeit machen. Ein Ding der Unmöglichkeit.
Bevor ich meine Wohnung betrat, zog es mich in Titus’ Arbeitszimmer, wie einen Verbrecher, der das Terrain sondiert, ehe er seine Tat begeht.
Als ich die Tür öffnete, fühlte ich mich seltsam ruhig, als wäre dies schon immer meine Wohnung gewesen und als wäre es ganz natürlich, sie zu betreten. Ich schaltete das Licht im Flur an, wo mein Blick erneut auf den Wanderer über dem Nebelmeer fiel. Wieder blieb ich stehen, um ihn zu betrachten.
Jetzt bin ich allerdings noch einsamer als vorher, dachte ich bei mir.
In der Zeitung hatte ich gelesen, dass 20,3 Prozent der spanischen Haushalte aus nur einer Person bestehen. Ich war Teil dieser Statistik, ich war ein »Einpersonenhaushalt«, eine Schnecke mit ihrem Haus, in das nur sie allein hineinpasst. Obwohl ich jetzt im Grundeja zwei Wohnungen und zwei Leben haben würde. In meiner Wohnung würde ich weiter als Samuel, Dozent für Deutsch, leben, und in der Etage darüber würde ich für einige Stunden am Tag Titus spielen. Seltsamerweise beunruhigte mich diese Aussicht kein bisschen.
Was konnte schon noch passieren?
Ich betrachtete den Schreibtisch im letzten Abendlicht. Es war alles wie beim letzten Mal: der Computer, das Wissenschaftsbuch, die Eisenbahn. Auf dem Teppich verstreut lagen drei Bücher, als wären sie Titus während des Anfalls aus der Hand gefallen. Ich bückte mich, um sie aufzuheben. Eins war eine Sammlung der bekanntesten Aphorismen von Siddharta Gautama alias Buddha. Bei den anderen beiden handelte es sich um die Biografien von Alan Watts und Thomas Merton.
Ich beschloss, die Bücher mit zu mir zu nehmen, um mich auf meine neue Arbeit vorzubereiten. Mit der eigentlichen Textproduktion würde ich mich frühestens morgen befassen, falls ich dazu überhaupt imstande sein sollte.
Gegen acht Uhr abends wurde mir immer beklommener zumute, ich fühlte mich wie überrollt von den Ereignissen. Die drei Bücher lagen als Bettlektüre auf meinem Nachttisch.
Ich hatte das Bedürfnis, das Haus zu verlassen, obwohl nichts von dem erledigt war, was ich mir vorgenommen hatte. Im Verdi wurde The Misfits , einer meiner Lieblingsfilme, gezeigt. Ich schaute in der Zeitung die Anfangszeiten nach, zur vorletzten Vorstellung würde ich es noch schaffen.
Kurzentschlossen zog ich mir den Mantel an, und in der Hoffnung, ich könnte mir selbst entfliehen, verließ ich die Wohnung.
Bis zum Beginn der Vorstellung vertrieb ich mir die Zeit mit der Lektüre des Infoblatts. Die Geschichte dieses Films, der Marilyn Monroes letzter werden sollte – das Drehbuch stammte von ihrem Mann, Arthur Miller –, war eine einzige Aneinanderreihung von Patzern, Pannen und Katastrophen.
Der Dreh hatte 111 Tage gedauert, und neben Marilyn spielten Clark Gable und Montgomery Clift in den Hauptrollen. Ebenso wie die Figuren, die sie verkörperten, hatten diese Stars bereits ihre besten Zeiten hinter sich.
Marilyn kam jeden Tag zu spät zum Dreh, weil sie zu der Zeit schon so viele Beruhigungsmittel schluckte, dass sie kaum aus dem Bett kam. Von ihren drei Liebhabern, John F. Kennedy, Yves Montand und auch Miller, der sie benutzt hatte, um seine Karriere wieder anzukurbeln, fühlte sie sich verraten. Wenn sie am Set erschien, war kaum etwas mit ihr anzufangen, entweder hatte sie den Text vergessen oder sie wirkte derart weggetreten, dass der Regisseur John Huston auf Aufnahmen verzichtete.
Clark Gable war mit seinen neunundfünfzig Jahren gesundheitlich stark angeschlagen, was ihn nicht daran hinderte, täglich zwei Liter Whiskey
Weitere Kostenlose Bücher