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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
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Schweigen zu bringen.
    »Du bist gleich dran«, sagte die Tierärztin und lächelte, bevor sie die Tür schloss.
    Mishima stieß einen schwachen Maunzer aus, als wollte sie sagen: »Noch mal Glück gehabt.«
    Während ich wartete, studierte ich die Poster, mit denen der Warteraum dekoriert war. Allesamt Werbeplakate für Tiernahrung, eine ziemlich kitschige Kollektion von fröhlich herumspringenden Hunden und Angorakatzen, die mit anspruchsvoller Miene ihr Futter musterten.
    Als der Pitbull und sein Herrchen die Praxis endlich verlassen hatten, trat ich mit meiner Box in den kleinen Behandlungsraum. Vielleicht lag es daran, dass sie sich in ihrer eigenen Umgebung sicherer fühlte, jedenfalls wirkte die Tierärztin sehr viel entspannter als bei ihrem Hausbesuch vor einigen Tagen.
    »Mein Name ist übrigens Meritxell«, sagte sie, ohne dass ich gefragt hatte, und holte die Katze aus der Box.
    Während sie Mishima die Spritze verpasste, beobachtete ich diese kleine, zierliche Frau und bewunderte erneut ihre ebenmäßigen Züge. Durch die kurzen dunklen Haare wirkte ihr Gesicht nur noch hübscher.
    Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass es nichts mitdem eigenen kulturellen Hintergrund oder einem speziellen gesellschaftlichen Kanon zu tun hat, ob wir ein Gesicht als schön empfinden, sondern dass es tatsächlich einen Schönheitsbegriff gibt, den die meisten Menschen auf der Welt teilen. Demnach empfinden wir ein Gesicht dann als besonders schön, wenn seine Züge symmetrisch sind.
    Meritxell schien mir ein gutes Beispiel für diese Art von Schönheit. Als sie ihre Arbeit beendet hatte, schenkte sie mir ein Lächeln, das sich so harmonisch, so elegant über ihr Gesicht legte, wie ich es noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte. Das musste allerdings nicht bedeuten, dass sie eine Einladung zu heißer Schokolade mit Churros annehmen würde. Ich entschied mich für vornehme Zurückhaltung und verabschiedete mich ohne jeglichen Annäherungsversuch.
    Fast meinte ich, in Meritxells ebenmäßigem Antlitz leichte Enttäuschung lesen zu können. Wahrscheinlich hätte sie abgelehnt, trotzdem wollte sie gefragt werden – eines der unergründlichen Rätsel weiblicher Koketterie.

SUCHEN UND FINDEN
    Da ich den Vormittag frei hatte, kam mir auf dem Heim weg von der Tierarztpraxis der Gedanke, Titus einen kleinen Krankenbesuch abzustatten. Also brachte ich Mishima nach Hause – sie war froh, endlich aus ihrer Box zu kommen – und machte mich erneut auf den Weg.
    Die Fahrt mit der Metro nutzte ich dazu, mir einige Buddha-Aphorismen für Titus’ Buch anzuschauen. Zu erst schien es mir seltsam, die Anthologie, die ich bei Titus gefunden hatte, in der U-Bahn hervorzuholen. Ein Waggon voller grauer Gesichter ist nicht gerade der beste Ort für kontemplative Lektüre. Doch schnell wurde mir klar, dass sich kein Mensch dafür interessierte, was um ihn herum geschah. Die Leute starrten mit leerem Blick in die Luft, was schlimmer ist, als die Augen geschlossen zu haben. Dann kann man wenigstens noch träumen.
    Ich musste an eine Stelle aus dem Buch der Unruhe von Fernando Pessoa denken. Dort heißt es in etwa: Wer schläft, ist wie ein Kind, denn im Schlaf kann man weder jemandem wehtun noch Rechenschaft über sein Leben ablegen. Der größte Verbrecher, der schlimmste Terrorist bewahrt im Schlaf den Zauber der Unschuld. Darum istes ein ebenso großes Verbrechen, einen Schlafenden zu töten wie ein Kind.
    Den Dichter hinter mir lassend, wandte ich mich wie der den Aphorismen des Siddharta Gautama zu. Ich markierte die Sprüche, die mir besonders gut für unser Buchprojekt zu passen schienen:
     
    Schmerz ist unvermeidlich,
    aber das Leiden steht uns frei.
     
    Wer nicht weiß, um welche Dinge er sich sorgen
    und welche er vernachlässigen soll,
    der sorgt sich um das, was nicht wichtig ist,
    und vernachlässigt das Wesentliche.
     
    Das bin ich, dachte ich, während ich an der Station Hospital Clinic ausstieg. Beinahe war ich ein bisschen wütend, dass einer, der vor zweitausendfünfhundert Jahren gelebt hatte, mir Ratschläge erteilen konnte.
    »Und, wie kommst du klar mit deinen Aufgaben?«, fragte Titus.
    »Bis jetzt habe ich nur das Inhaltsverzeichnis vervollständigt. Was ist denn die zweite Aufgabe?«, fragte ich verdutzt. Hatte ich etwas vergessen?
    »Gabriela zu finden natürlich.«
    »Um ehrlich zu sein, bin ich mit der Suche noch nicht wirklich weitergekommen.«
    »Ich habe auch nicht gesagt, du sollst sie suchen, sondern du

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