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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
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Nächten in Hotelzimmern verbringe. Und Fernsehen ist überhaupt nicht mein Ding.«
    »Aber wieso bleibst du immer genau siebzehn Minuten?«, fragte ich, plötzlich wieder wacher.
    »Das mache ich nur, um euch den Spaß nicht zu verderben.«
    Während Rubén sich eine Zigarette anzündete und ich eine ablehnte, dachte ich, dass mein neuer Bekannter nicht weniger durchgeknallt war als Valdemar.
    Er fuhr fort: »Ich mache auch so meine Beobachtungen, weißt du? Eines Mittags saß ich draußen und sah, dass der Typ mit dem Bart sich in einem Heft Notizen darüber machte, wie lange jeder Gast sitzen blieb. Da beschloss ich, von da an immer exakt siebzehn Minuten zu bleiben. Es war eine Art Spiel. Als du dann auch noch anfingst, die Zeit zu stoppen, bin ich dabei geblieben, um euch nicht zu enttäuschen. Du weißt schon, wie diese Schlagersänger, von denen das Publikum immer dieselben Lieder erwartet.«
    »Erstaunlich, dass ein Ingenieur sich mit solchen Spielchen befasst«, sagte ich etwas enttäuscht.
    »Geheimnisse sind lebenswichtig, wie Essen, Trinken oder Schlafen. In einer Welt, in der es für alles eine Erklärung gibt, könnten wir gar nicht leben. Es gibt zwar auch viele natürliche Rätsel, aber eins mehr kann niemals schaden.«
    »Du könntest eine NGO gründen«, spöttelte ich. »Rätsel ohne Grenzen.«
    »Du musst gerade reden! Immer, wenn ich euch gesehen habe, dachte ich, Mann, was für zwei unheimliche Typen. Was die wohl im Schilde führen? Zuerst dachte ich, ihr wärt irgendwie pervers. Dann kam ich zu dem Schluss, dass ihr einfach nicht ganz dicht seid.«
    Im Stillen musste ich ihm recht geben. Meine Freundschaft mit Valdemar, all die seltsamen Ereignisse in den letzten paar Wochen machten mehr als deutlich, dass mein Leben die Pfade der Normalität längst verlassen hatte.
    Den Kopf tief im Sitzleder vergraben, sagte ich: »Die Beziehung zwischen uns und dir ist wie die zwischen einem Quantenphysiker und seinen Teilchen. Du bist siebzehn Minuten geblieben, weil es das war, was wir sehen wollten.«
    »Genau. Deswegen meinte ich ja: Ich wollte euch den Spaß nicht verderben.«
    »Wer weiß, wahrscheinlich gibt es alle möglichen Dinge, die sich in einer bestimmten Art und Weise entwickeln, weil wir es so wollen. Zum Beispiel die Leute, die immer das Schlimmste befürchten und unentwegt davon sprechen. Und dann wundern sie sich, wenn das Schlimmste tatsächlich eintritt. Sie merken nicht, dass sie in Wirklichkeit einen Wunsch formuliert haben.«
    »Einen Wunsch nach Unglück.«
    »So in etwa«, gab ich zu, »und vielleicht ist die Befriedigung darüber, dass ihre Vorhersage sich erfüllt hat, größer als das Unglück. Manche Leute brauchen das, dass sie sagen können: ›Siehst du, das habe ich dir gleich gesagt.‹ Meine Schwester und ihr Mann sind so.«
    Das Auto hielt vor meiner Tür; der Ingenieur klopfte mir zum Abschied auf die Schulter, als wäre ich ein kleiner Junge, dabei war ich gut zehn Jahre älter als er.
    »Meinetwegen kannst du in dem Café deinen eigenen Rekord brechen«, meinte ich. »Das nächste Mal trink doch ein zweites Bier.«
    »Das werde ich dann mit euch trinken«, sagte er und trat aufs Gaspedal.
    Der Wagen verschwand und ich stand wie benommen und etwas traurig da. Es gab kein »euch« mehr. Heute kam ich einsamer denn je nach Hause.
    Ich beschloss, noch einmal oben bei Titus vorbeizuschauen. Vielleicht war Valdemar gar nicht geflohen und hatte nur die Wohnung verlassen, um das Mondphänomen unter freiem Himmel zu beobachten. Doch ich fand alles genau so vor, wie ich es verlassen hatte. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, noch einmal durch das Teleskop zu schauen, musste allerdings die Position verstellen, um den Mond zu sehen.
    Während meine Beine vor Erschöpfung ganz schwer wurden, ließ ich den Blick über die Mondtäler schweifen, als könnte ich dort irgendeine Spur meines Freundes finden. Ich ahnte ja nicht, dass Valdemars Geschichte noch längst nicht zu Ende war.

DER TOD HAT DEN ZUG VERPASST
    Es dämmerte bereits, als ich meine Wohnung betrat und von einer bleiernen Müdigkeit übermannt wurde. Den weißen Mond in meine Netzhaut gebrannt, sank ich aufs Bett und schlief sogleich ein.
    Wäre ich nicht so unvermittelt aus dem Schlaf gerissen worden, hätte ich mir niemals diesen Traum gemerkt, der weitere Ereignisse ins Rollen bringen sollte. Ich wäre langsam aufgewacht, und die nächtlichen Bilder hätten sich wie morgendlicher Nebel verflüchtigt.
    Doch

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