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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
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schien wie eine riesige milchige Frucht. Der Weg des Unbekannten führte unter einer gotischen Brücke hindurch in eine schmale Seitengasse. Die Straße war menschenleer, daher ließ ich ihm etwas mehr Vorsprung und gab mir Mühe, meine Schritte auf den tausend Jahre alten Pflastersteinen nicht zu laut aufhallen zu lassen. Auch er verlangsamte seinen Schritt, steckte sich eine Zigarette in den Mund und zündete sie an, während er zum Himmel aufsah. Wir überquerten den Platz mit dem Rathausund dem Regierungspalast und nahmen dann eine Straße, die zum Hafen hinunterführt. Noch vor dem Hafen bog der rätselhafte Rotschopf links in die Bellafilla-Gasse ein. Einen Moment lang blieb er vor einer erleuchteten Tür stehen, durch die er dann verschwand.
    Jetzt konnte er mir nicht mehr entwischen. Nun stand ich vor einer Tür, die sich als Eingang zu einer Cocktailbar namens El Ascensor herausstellte. Sie machte ihrem Namen alle Ehre, denn der Eingangsbereich war ein alter Mahagoni-Fahrstuhl mit Schiebetür aus dem letzten Jahrhundert.
    Einen Moment lang kam mir die Schlussszene des Films Angel Heart in den Kopf, in der Mickey Rourke mit dem Fahrstuhl in die Hölle hinabfährt.
    Etwas unschlüssig trat ich ein. Durch die Schiebetür gelangte man in ein kleines Café mit Spiegeln und Marmortischen. Sämtliche Tische waren von jungen Leuten belegt, die im Fin-de-siècle-Ambiente ihre Cocktails schlürften. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, und stellte mich erst einmal an die Bar. Mickey Rourkes zynische Selbstgewissheit fehlte mir, zudem machte mir auch langsam die Müdigkeit zu schaffen.
    Doch ehe ich auch nur ein Bier bestellen konnte, kam der schwarz gekleidete Rothaarige mit wenig freundschaftlicher Miene auf mich zu und ließ zwei junge Schönheiten an seinem Tisch zurück.
    Seine Begleiterinnen, die kaum älter als zwanzig waren, beobachteten die Szene gespannt und amüsiert. Die eine rief ihm etwas hinterher, das klang wie »Mensch, lass ihn doch!«.
    Ich lehnte am Tresen und hatte keine Ahnung, wie ich mich verhalten sollte, um eine eventuell unangenehmeSzene zu vermeiden. Bevor ich mir etwas zurechtlegen konnte, fragte der Rothaarige in höflichem, aber bestimmtem Ton: »Verfolgen Sie mich?«
    Die einzige Antwort, die mir einfiel, war alles andere als kinotauglich: »Ja.«
    »Und warum, wenn ich fragen darf?«
    »Ich helfe einem Freund bei einer Studie zur Stadtanthropologie«, erklärte ich prompt, was ja nur halb gelogen war. »Wir untersuchen die Gewohnheiten des Tresentiers, insbesondere bei Gästen, die festgelegten Ritualen folgen, wie Sie.«
    Mit verschränkten Armen baute er sich vor mir auf, als warte er auf die Verkündung eines Urteils. Doch sein verhaltenes Lächeln sagte mir, dass dieser Typ vollkommen harmlos war und sich auf meine Kosten amüsierte.
    Er tat hellauf empört und fragte: »Wie kommen Sie darauf, ich sei einer von diesen Menschen?«
    »Wir sind Stammgäste im selben Lokal. Übrigens haben Sie es meinem Eingreifen zu verdanken, dass Sie heute überhaupt Ihr Bier trinken konnten ... in siebzehn Minuten.«
    Diese Bemerkung schien ihn endgültig zu entwaffnen, denn er lachte breit und klopfte mir kumpelhaft auf die Schulter.
    »Setzen Sie sich doch auf ein Glas zu uns.«
    An dem kleinen Tisch war kein Stuhl mehr frei. Als sie uns zusammen kommen sah, erhob sich das eine Mädchen, eine Brünette mit kantigem Gesicht, und sagte: »Sie können meinen Platz nehmen. Ich muss in fünf Stunden aufstehen.«
    Bevor ich etwas erwidern konnte, fand ich mich zwischen einer Kleinen mit blauen Augen und dem Rothaarigen,der mit einem Fingerschnipsen den Kellner heran rief. Zu meiner großen Überraschung sagte das Mädchen: »Rubén, darf ich dir Samuel de Juan vorstellen.«
    Ich war vollkommen perplex. Es ist beunruhigend, wenn einen jemand erkennt, den man noch nie zuvor gesehen hat. Eine peinliche Frage wie »Und wer bist du?« wollte ich unbedingt vermeiden, deshalb wartete ich ab, dass mich irgendein Hinweis auf die richtige Spur führen würde.
    »Mein Dozent für Gegenwartsliteratur«, sagte sie lächelnd. »Wir müssen ihn betrunken machen, damit er sich irgendwie danebenbenimmt. Dann muss er mir eine gute Note in der Klausur geben, um sich mein Schweigen zu erkaufen.«
    Plötzlich ging mir ein Licht auf: die kleine Besserwisserin aus dem Überblickskurs. Ohne ihre Nickelbrille hatte ich sie nicht erkannt. Ihre kurzsichtigen tiefblauen Augen verliehen ihr etwas Zerbrechliches, das gar

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