Samurai 5: Der Ring des Wassers (German Edition)
Menschen wie Ronin an Bord der Alexandria kennengelernt. Sie hatten sich dem Alkohol ergeben, um irgendein schreckliches Ereignis oder Versäumnis in ihrem Leben zu verdrängen. Eine ähnlich schreckliche Vergangenheit schien Ronin auf Schritt und Tritt zu folgen. Die Frage war nur, vor was er auf der Flucht war.
Sie bogen um eine Ecke und die Ausläufer einer kleinen Stadt kamen in Sicht.
»Setz lieber den auf«, sagte Ronin und drückte Jack seinen Hut auf den Kopf. Die breite Krempe bedeckte Jacks Gesicht. »Schließlich willst du keine Schwierigkeiten bekommen.«
8
Tanuki
Ronin ging voraus, Jack folgte dicht hinter ihm und wagte nur gelegentlich einen flüchtigen Blick unter der Krempe hervor. In der Ortschaft fiel ihm das Gehen leichter als auf den morastigen und steinigen Wegen, auf denen sie bisher unterwegs gewesen waren. Die von zahllosen Füßen festgetretene Hauptstraße war eben und nur von wenigen Steinen durchsetzt. Gesäumt wurde sie von verschiedenen Holzhäusern und Bambushütten, in denen kleine Läden untergebracht waren – eine Herberge, ein Tuchgeschäft, zwei Teehäuser, ein Wirtshaus voller Gäste, die sich über dampfende Schalen mit soba beugten, und einige weitere Geschäfte, deren Waren hinter großen Markisen verborgen waren. Dazwischen standen Wohnhäuser und hin und wieder ein Shinto-Schrein. Im Hintergrund hörte Jack das friedliche Rauschen eines Flusses, durchsetzt von den rhythmischen Schlägen eines Hammers auf Holz.
»Wo sind wir?«, fragte er.
»In Kizu«, brummte Ronin.
Die Bewohner des Städtchens gingen ihren täglichen Geschäften nach und machten einen weiten Bogen um den Samurai, sobald sie seine furchterregende Erscheinung sahen. Jack würdigten sie keines Blickes – einen Bauernjungen in einem zerrissenen Kimono und Strohhut, der gehorsam hinter seinem Herrn herlief. Jack war das nur recht.
»Warte hier«, befahl Ronin und ging zu einem Laden, über dem eine große Kugel aus Zedernästen hing.
Zu Jacks Freude streifte er seine Holzsandalen ab und trat ein. Sie hatten noch einen guten Tagesmarsch vor sich und brauchten Proviant. Jack knurrte schon jetzt der Magen vor Hunger.
Weil seine Füße zu schmutzig waren, wartete er lieber vor dem Eingang. Wie anders doch die Gebräuche in England waren. Dort starrten die Böden der Häuser vor Schmutz, den Schuhe und Stiefel hineintrugen. Auf den Straßen häuften sich Unrat und Abfälle und es wimmelte überall von Ratten. Obwohl Japan nichts von ihm und anderen Ausländern wissen wollte, bewunderte Jack vieles an der Kultur dieses Landes – unter anderem die Sauberkeit und den Ordnungssinn. Tief im Innersten wollte er gar nicht von hier fort. Wenn er die Wahl gehabt hätte, wäre er bei Akiko in Toba geblieben und hätte sich als Samurai verdingt. Aber das ging leider nicht. Der Shogun verfolgte ihn und er musste auch um seiner Schwester willen nach England zurückkehren. Obwohl er täglich an Akiko dachte, hatte er seinen Traum längst begraben.
Ronin kehrte zurück, seinen Einkauf in den Händen haltend – eine große, aus Ton gebrannte und mit Sake gefüllte Flasche.
»Gehen wir«, sagte er.
»Und was ist mit etwas zu essen?«, fragte Jack, der schon befürchtete, der Reiswein könnte ihre einzige Nahrung sein.
Ronin holte aus dem Ärmel seines Kimonos einige Münzen und zählte sie. »Das müsste reichen.«
Sie gingen über die Straße zu einem weiteren Laden, aus dem ihnen ein süßer Duft entgegenströmte. Das Geschäft war klein und bot nur Platz für einige wenige Kunden. Zwei Männer saßen an einer in den Boden eingelassenen Kochstelle, nippten an heißem Tee und aßen weiße, apfelgroße Teigkugeln.
Am Eingang stand ein kleiner Ladentisch und unmittelbar neben dem Türrahmen eine aus Holz geschnitzte Statue. Sie reichte Jack bis zum Knie und stellte ein dachsähnliches Tier, das sich auf die Hinterbeine aufgerichtet hatte, dar. Das Tier hatte einen aufgeblähten Bauch, bettelnde Augen und zeigte ein breites Grinsen. Auf dem Kopf trug es einen trichterförmigen Sonnenhut aus Stroh, in den Pfoten hielt es eine Sakeflasche und eine leere Geldbörse. Auf Jack machte es einen verschlagenen Eindruck.
»Wir essen draußen«, entschied Ronin und deutete auf eine Bank aus groben Brettern rechts von der Statue. »Dann brauchst du deinen Hut nicht abzunehmen.«
Er schlug mit der Faust auf den Ladentisch und ein kleiner Mann mit Knopfaugen und glänzender Stirn schoss dahinter in die Höhe und verbeugte
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