Samurai 5: Der Ring des Wassers (German Edition)
auf dem Dach des Schreins. Von seiner Zeit an Bord der Alexandria war er schlechtes Wetter gewöhnt.
Er schlief die Nacht durch und wachte erst auf, als das Morgenkonzert der Vögel den neuen Tag eröffnete. Das Unwetter hatte sich verzogen und der Nebel, der aus dem Tal unter ihnen aufstieg, verging in den ersten Strahlen der Morgensonne.
Jack setzte sich auf und streckte sich. Seine Glieder waren steif und schmerzten noch, doch er fühlte sich ausgeruht. Mit hohlen Händen schöpfte er frisches Wasser aus einer Pfütze und aß seine letzten Beeren. Während er darauf wartete, dass Ronin aufwachte, meditierte er wieder zur Stärkung seiner Selbstheilungskräfte. Er versetzte sich in den tranceartigen Zustand des kuji-in und die Ninjamagie entfaltete ihre Wirkung. Mit seinen aufs Äußerste geschärften Sinnen hörte er im Wald Millionen von Tropfen von den Blättern fallen.
»Was tust du da?«, fragte Ronin barsch und beäugte misstrauisch Jacks aneinandergelegte Hände. Er sah aus wie ein Bär, den man zu früh aus dem Winterschlaf geweckt hatte. Sein Bart war struppig, seine Augen rot und seine Miene verdrossen.
»Ich meditiere nur.« Jack öffnete die Hände.
Ronin schnaubte. »Davon wird man nicht satt.«
Er schüttelte die Sakeflasche und drehte sie um. Aber kein einziger Tropfen kam heraus und Ronin warf sie verärgert weg. »Los, gehen wir!«
Jack folgte ihm, so schnell es ohne Schuhe ging. Ronin stapfte den Waldweg entlang und sah sich ab und zu ungeduldig nach Jack um, der immer weiter zurückblieb. An einer Kreuzung blieb er schließlich stehen und wartete. Um sich die Zeit zu vertreiben, schnitt er mit seinem Kurzschwert von einem Baum einen langen Ast ab, befreite ihn von Zweigen, rundete die Enden ab und entrindete ihn. Als Jack ihn einholte, überreichte er ihm den fertigen Stock. »Hier, benutz den!«
»Danke«, sagte Jack und wog den dicken Stock in den Händen. Der Ast war gerade gewachsen und stabil, ideal geeignet nicht nur als Wanderstab, sondern auch als bo zum Kämpfen. An der Niten Ichi Ryu hatte Jack bei dem blinden Sensei Kano Unterricht im bojutsu gehabt. Mit einer solchen Waffe in der Hand fühlte er sich gleich sicherer.
»Bleib einfach an mir dran«, brummte Ronin und marschierte wieder los.
Wenn Ronin ihm helfen sollte, dachte Jack, musste er ihn besser kennenlernen und sich mit ihm anfreunden. Und das gelang wahrscheinlich am besten, indem er ihn lobte.
Er versuchte also, mit ihm Schritt zu halten. »Man sieht, dass du hervorragend kämpfen kannst«, begann er. »Gestern hast du ganz allein vier bewaffnete Polizisten besiegt, und das nach drei Krügen Sake! Wo hast du so gut kämpfen gelernt?«
Ronin ging weiter, als hätte er Jacks Frage nicht gehört.
»Alles sah wie zufällig aus«, beharrte Jack, »aber ich habe genau gemerkt, dass viel mehr im Spiel war als nur Glück.«
Er bekam immer noch keine Antwort. Ronin erwiderte nicht einmal seinen Blick.
Jack nahm einen dritten Anlauf. »Als Schüler Masamoto-samas beeindruckt es mich sehr, wenn jemand so kämpfen kann – und siegt. Wie machst du das?«
Ronin blieb abrupt stehen und sah Jack an. Seine Augen funkelten. »Wer siegen will, muss sich an zwei Regeln halten. Die erste lautet: Verrate anderen niemals alles, was du weißt.«
Jack wartete darauf, dass Ronin fortfuhr, aber der Samurai ging einfach weiter und verfiel wieder in sein beharrliches Schweigen.
Jack folgte ihm hastig. »Und die zweite Regel?«
Ronin hob verärgert die Augenbrauen.
Jetzt erst begriff Jack, dass Ronin sie ihm nicht sagen würde, selbst wenn es sie gab. »Sehr witzig«, bemerkte er und lachte, um die Spannung zu lösen.
Ronin lachte nicht, deshalb beschloss Jack, es auf anderem Wege zu versuchen. »Warst du bei der Schlacht um die Burg von Osaka dabei?«
Ronin bekam ein ernstes Gesicht und Jack deutete das als ein Ja.
»Auf wessen Seite?«, fragte er ein wenig zögernd.
Ronins Blick streifte ihn. »Der einzigen, der ich traue – meiner eigenen.«
»Aber du musst doch einem Daimyo gedient haben«, setzte Jack nach. Jetzt, wo er Ronin zum Reden gebracht hatte, wollte er nicht aufgeben. »Wie hieß er? Vielleicht hat Masamoto-sama ihn gekannt.«
»Mein Daimyo ist mein Schwert«, erwiderte Ronin barsch. »Wir sollten besser gehen als reden.«
Er beschleunigte seine Schritte und Jack überlegte, was ihn wohl so bitter und misstrauisch machte. Der Samurai ging, als folgte ihm ein hartnäckiger dunkler Schatten. Jack hatte solche
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