Samurai 7: Der Ring des Windes (German Edition)
hinteren Deck hinauf. Der Kapitän brummte unzufrieden, weil er nur die Hälfte bekam, und sagte, er fühle sich als ehrlicher Mensch beleidigt, doch steckte er das Geld rasch ein. Die beiden wechselten noch einige Worte, dann kämpfte Yori sich über das krängende Deck zu seinem Platz neben Jack zurück. Der Kapitän hatte gesagt, die Reise könne, abhängig von Wetter, Wind und den Gezeiten, bis zu einem Monat dauern. Unterwegs würden sie an verschiedenen Inseln anlegen, um Waren auszuliefern und abzuholen. Zu Yoris Freude war der erste Halt Omishima, das sie gegen Abend erreichen sollten.
Nachdem sie so lange auf der Flucht gewesen waren, forderte die Erschöpfung endlich ihren Tribut. Miyuki und Yori verstauten den Leinensack so, dass er vor den neugierigen Augen der Besatzung sicher war, dann überließen sie sich dem sanften Auf und Ab des Schiffs und schliefen ein. Saburo war bereits in Schlaf gesunken. Auch Jack wollten die Augen zufallen, doch warf er noch einen letzten Blick zurück nach Imabari. Der Hafen entfernte sich langsam hinter ihnen, während sie in nordwestlicher Richtung durch die Kurushima-Straße fuhren. Nur der weiße Hauptturm der Burg stand wie ein alles sehendes Auge am Horizont. Erst wenn er verschwunden war, wollte Jack glauben, dass sie ihren Verfolgern tatsächlich entkommen waren.
Er erwachte, weil er spürte, dass das Schiff seinen Kurs geändert hatte. Sie fuhren jetzt geradewegs nach Norden. Jack setzte sich auf und sah vor sich die Umrisse eines Berggipfels. Vermutlich war das Omishima. Er beschloss, die anderen schlafen zu lassen, denn es würde noch eine Weile dauern, bis sie anlegten.
Da er sich die Beine vertreten wollte, stieg er zum hinteren Deck hinauf, dem einzigen Ort auf dem ganzen Schiff, der nicht mit Waren vollgestellt war. Er hob die Hutkrempe ein wenig an, suchte den Horizont ab und entdeckte zu seiner Erleichterung, dass die Burg verschwunden war. Es war auch kein Schiff zu sehen, das ihnen gefolgt wäre.
Diesmal hatten sie es wirklich geschafft.
Anhand des Bergs und einiger kleinerer Inseln in ihrer Umgebung konnte Jack relativ leicht einschätzen, wie schnell sie vorankamen. Verglichen mit der endlosen Leere des offenen Meeres gab es im Seto-Binnenmeer zahlreiche Landzeichen als Navigationshilfen. Wenn der Wind aus Südwest anhielt, erreichten sie ihr erstes Ziel in einer guten Stunde.
Andererseits war die Nähe von Land auch nicht ungefährlich, wie er wusste. Ein unerfahrener Steuermann konnte das Schiff auf einer versteckten Sandbank auf Grund setzen oder gegen ein unter dem Wasser verstecktes Riff stoßen. Ein durch eine nahe Landmasse verursachtes plötzliches Umschlagen des Windes konnte ein Schiff sogar zum Kentern bringen. Die wichtige Rolle der Gezeitenströmungen in dieser Gegend hatte er bereits kennengelernt. Er wünschte, er hätte Tinte und Feder gehabt, um seine Beobachtungen im Portolan festzuhalten. Ein solches Wissen konnte später einmal unschätzbar wertvoll sein. Er erinnerte sich noch, wie sein Vater sich immer im Logbuch Notizen gemacht hatte; es war ihm praktisch zur zweiten Natur geworden. Beobachten, aufschreiben, sich einprägen, hatte er immer gesagt. Angespornt durch sein Vorbild, versuchte Jack sich seine Beobachtungen zu merken.
»Auch ein kleiner Seemann, was?«, brummte der Kapitän, dem aufgefallen war, wie mühelos Jack sich auf dem schwankenden Deck bewegte.
»Ich … war mit meinem Vater unterwegs«, antwortete Jack und zog hastig den Hut in die Stirn.
»Ein Fischer, ja?«
»Nein, ein Steuermann.«
»Hm«, brummte der Kapitän und betrachtete den Pilger vor ihm genauer. »Welchen Kurs fahren wir gerade?«
»Nord«, antwortete Jack. »Und davor Nordwest.«
Der Kapitän lächelte zum ersten Mal. »Nimm das Steuerruder«, befahl er.
Bevor Jack protestieren konnte, ließ der Kapitän schon los und ging zur Reling. »Halte das Schiff gut auf Kurs!«, knurrte er noch, dann erbrach er sich ins Wasser.
Jack lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die lange Pinne. Er spürte, wie das Holz in der Strömung des Wassers vibrierte und der Wind das Schiff machtvoll über die Wellen schob.
Der Kapitän drehte sich um und sah das breite Grinsen auf Jacks Gesicht.
»Der Goldene Tiger bietet vielleicht nicht viel fürs Auge, aber er fliegt förmlich mit dem Wind«, sagte er stolz.
Jack nickte, obwohl er eher fürchtete, das Schiff könnte auseinanderbrechen, wenn der Wind stärker wurde.
»Warum hat der Goldene Tiger
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