Samurai 7: Der Ring des Windes (German Edition)
einen festen Orientierungspunkt, zu dem sich die Bewegung des Floßes in Bezug setzen ließ, war das unmöglich. Aber da er sich in diesen Gewässern nicht auskannte, hätte er sowieso nicht gewusst, ob ihr Kurs gut oder schlecht war. Er weckte Cheng und die anderen.
»Wo sind wir?«, fragte Saburo und setzte sich benommen auf.
Jack starrte ihn an.
»Was ist denn?« Saburo rieb sich die Augen.
»Es geht dir wieder gut!«
Saburo lächelte gequält und bewegte eine steife Schulter. »Nicht unbedingt. Ich komme mir vor, als wären zwanzig Sumo-Ringer auf mir herumgehüpft. Meine Muskeln brennen bei jeder Bewegung.«
»Das vergeht in ein paar Stunden«, erklärte Miyuki, die sich ebenfalls freute, dass es ihrem Freund besser ging. »Du brauchst jetzt nur Wasser, etwas zu essen und Ruhe.«
Saburos Miene hellte sich auf, als er Miyuki von Essen sprechen hörte. »Ich habe einen Mordshunger! Was haben wir denn?«
Jack lachte. »Du bist fast gestorben, weil du Fugu gegessen hast! Und jetzt denkst du als Erstes wieder an Essen!«
»Ich will ja nicht vor Hunger sterben«, erwiderte Saburo ernst.
»Wir müssten noch etwas Reis haben«, sagte Yori und öffnete den Sack. Er machte ein langes Gesicht und wühlte tiefer. »Oder nein … es ist alles weg.«
»Alles?«, fragte Jack erschrocken und dachte an den Portolan.
»Nein, nur unser Proviant. Jemand muss ihn genommen haben.«
»Und Wasser?«
Yori hielt eine gesprungene Kalebasse hoch. »Zwei sind kaputt, die anderen fehlen. Wir müssen sie auf der Flucht verloren haben.«
»Dann müssen wir so bald wie möglich irgendwo an Land gehen«, sagte Jack. Doch sie befanden sich in einer gefährlichen Lage. »Hm … Captain Arashi hat Befehl gegeben, nach Imabari zurückzukehren. Die Piraten haben uns etwa eine Tagesreise südwestlich von Omishima aufgegriffen. Anschließend ist die Schwarze Spinne einen Tag lang nach Süden gefahren. Nach dem Angriff des Drachen sind wir noch die halbe Nacht übers Meer getrieben … Cheng, hast du eine Ahnung, wo wir sein könnten?«
Cheng schüttelte entschuldigend den Kopf. »Ich bin erst vor einem knappen Monat zu den Winddämonen gekommen und zum ersten Mal auf dem Seto-Binnenmeer unterwegs.«
Jack biss sich auf die Lippe. Sie waren verloren. Ohne Proviant, Wasser und eine Vorstellung der Richtung, in der Land lag, waren ihre Überlebenschancen in der Tat sehr gering. Er unterdrückte die Verzweiflung, die in ihm aufstieg.
»In diesem Binnenmeer gibt es Hunderte von Inseln«, sagte Yori hoffnungsvoll. »Bestimmt sichten wir bald eine.«
Jack wollte zwar nicht einfach aufgeben, aber er teilte Yoris Optimismus nicht. Sie hatten keinen Mast, auf den sie klettern konnten, und so verschwand die Küste einer Insel schon in wenigen Meilen Entfernung hinter dem Horizont. Sie konnten also an der rettenden Insel vorbeitreiben, ohne sie überhaupt zu bemerken.
»Einer von uns muss aufstehen und die ganze Zeit Ausschau halten«, erklärte er. »Ohne Segel und Ruder sind wir der Strömung ausgeliefert. Wenn wir Land sichten, müssen wir vielleicht schwimmen.«
»Ich übernehme die erste Wache«, bot Cheng an.
Das Floß schaukelte, als er vorsichtig aufstand. Er legte die Hand über die Augen und suchte den Horizont nach Inseln ab.
»Vielleicht siehst du ja auch ein Schiff«, meinte Miyuki. »Am liebsten ein Fischerboot. Von Piraten oder Samurai wollen wir nicht gerettet werden!«
»Achte auch auf Treibholz, Wolken, die sich nicht bewegen, oder Vögel«, fügte Jack hinzu. »Das sind alles Hinweise auf Land. Vor allem Vögel. Bei Einbruch der Dämmerung fliegen sie zur Küste. Und wenn sie irgendwo in der Nähe brüten, hören wir vielleicht sogar ihr Geschrei.«
Cheng nickte und wandte sich wieder dem Horizont zu.
»Bei Einbruch der Dämmerung?«, fragte Saburo verwirrt. »Aber es ist doch erst Morgen.«
Jack nickte ernst. »Es kann dauern, bis wir auf Land stoßen. Wir müssen uns auf eine längere Reise gefasst machen. Was ist noch in dem Sack?«
Yori sah nach. »Unsere Samuraikleider, unsere Bündel, die Pilgertaschen, dein Portolan und Saburos Schwerter.«
Jack blickte an sich hinunter. Seine Pilgerkleider waren dabei, sich in Lumpen aufzulösen. Zwar hatte es keinen Zweck, andere Kleider anzuziehen, bevor sie irgendwo an Land gingen, aber sie mussten sich vor der Sonne schützen.
»Pack unsere Sachen in die Bündel um und binde die Bündel am Floß fest«, befahl er. »Dann können wir aus dem Sack ein Sonnensegel machen.
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