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Samuraisommer

Samuraisommer

Titel: Samuraisommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Vater vor mir, wie er vor einer Kaffeetasse saß. Oder einem
Glas Branntwein. „Oder vorm Fernseher.“
    „Vielleicht haben sie eine Lieblingssendung“, sagte Kerstin.
    Jetzt waren wir zurück in meinem Wald. Die Schatten hoben sich und
verschwanden zwischen den Tannen. Es wurde heller und roch auch heller.
    „Was könnte ein Toter für eine Lieblingssendung haben?“, fuhr Kerstin
fort.
    „Kann alles sein“, sagte ich. „Da gibt's doch nur Scheiß.“
    „Woher weißt du das? Guckst du etwa alle?“
    „Nicht eine einzige.“
    „Und trotzdem weißt du, dass alles Scheiß ist?“
    Ich wusste gar nichts, aber darüber wollte ich jetzt nicht reden. Wir
hatten ja keinen Fernseher zu Hause. Viele hatten schon vor einigen Jahren, als
das Fernsehen aufkam, einen Apparat gekauft, aber Vater hatte gesagt, das ist
nur Scheiß und dann... tja, dann konnten wir uns keinen Fernseher mehr leisten.
    „Ich hab gedacht, du hättest einen Samuraifilm im Fernsehen gesehen“,
sagte Kerstin. „Zeigen sie da welche?“
    „Weiß ich nicht. Aber das müssten sie ja eigentlich. Sie bringen ja
auch Ivanhoe und Wilhelm Teil. Und Robin Hood.“
    „Das sind keine Samurai“, sagte ich. „Die kommen aus England.“
    „Wilhelm Teil kommt aus der Schweiz.“
    „Jedenfalls kommen sie nicht aus Japan“, sagte ich.
„Wie weit ist es eigentlich bis Japan?“ Ich schaute auf den Pfad.
    „Man muss nur graben, dann kommt man früher oder später in Japan an.“
    Wie auf einer Beerdigung, dachte ich sofort, nachdem ich es
ausgesprochen hatte. Kerstin schien das Gleiche zu denken, aber sie sagte
nichts.
    Beerdigungen waren auch dazu da, dass die Menschen sich erinnerten.
Alle sollten sich so lange wie möglich erinnern. Mir hatte das nicht gefallen,
als ich mit Mutter, ihren Schwestern und allen anderen in der Kirche saß. Ich
hatte auf gar keine Beerdigung gehen wollen. Ich wollte mich nicht auf diese
Weise erinnern. Alles war so feierlich, dem konnte man sich gar nicht
entziehen. Ich wollte mich auf meine Art erinnern, ohne irgendwelche Regeln
befolgen zu müssen. Gräber mochte ich auch nicht und keine Friedhöfe. Man
musste vor einem Stein stehen und sich erinnern, aber es war doch nur ein
Stein. Darin war keine Seele, er war nur ein unnötiges Gewicht über dem, der da
unten lag.
    Die Lichtung öffnete sich. Jetzt waren die Schatten verschwunden. Wir
waren am Ziel.
    „Es ist noch nicht fertig“, sagte ich.
    „Das hast du schon mal gesagt.“
    Sie näherte sich der Mauer. Plötzlich erschien sie mir niedriger, als
sie eigentlich war. Mit den Türmen war es dasselbe. Jetzt sah ich sie mit ganz
anderen Augen. Als ob sie fremd geworden wären, nicht von uns gebaut.
    „Es ist schön“, sagte sie.
    „Es soll erst schön werden“, sagte ich.
    Sie schaute sich um. Nun kam mir der ganze Platz kleiner vor. Ich
hätte ihr das alles nicht zeigen sollen, das Schloss, die Burghöfe, Mauern und
die Lichtung. Jetzt war ich nicht mehr stolz auf unser Schloss.
    „Es ist toll.“ Sie lächelte.
    „Findest du?“
    „Wirklich.“
    „Es ist noch viel zu tun“, sagte ich.
    „Ich könnte euch helfen.“ Sie hielt ihre Hände hoch. „Je mehr Hände
...“
    „Je mehr Hände, umso schlechter die Suppe“, sagte ich. Aber ich
bereute es sofort.
    „So heißt das nicht.“ Sie lächelte wieder. Sie schien es nicht übel zu
nehmen. „Und hier ist Hilfe nötig, falls ihr diesen Sommer noch fertig werden
wollt.“
    „Das schaffen wir nicht.“
    „Aber das müsst ihr doch?“
    „Wir machen weiter“, sagte ich.
    „Weitermachen? Wenn der Sommer vorbei ist?“
    Ich nickte.
    „Das versteh ich nicht“, sagte Kerstin. Das war nicht einfach zu
erklären. Ich verstand es selbst nicht ganz. Noch nicht.
     
    Als wir zurück zum Camp kamen, war das Brennballturnier noch nicht
beendet. Die Schatten auf dem Pfad waren länger. Es roch nach dem See, nach
Schlamm und Schilf und grünem Wasser. Auf dem Brennballplatz schrien sie lauter
denn je.
    Bei dem dicken Ast, der über das Wasser ragte, stand ein Mann. Vor ihm
im Gras stand ein schwarzer Kasten. Ich wusste, was es war. Kerstin wusste es
auch.
    „Oje“, sagte sie, „das hab ich ganz vergessen.“
    „Ich auch.“
    Der Mann war hier, um die Sommerfotos zu machen.
    Wir sollten uns alle bei diesem Baum und dem Ast versammeln, alle
sollten fröhlich aussehen und der Mann würde auf einen Knopf drücken, der am
Ende eines Kabels befestigt war.
    Auf dem Foto des letzten Jahres stand ich hinter dem Baum. In

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