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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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oder auf einer Insel im Wohn- und Esszimmer eines zusammengenagelten Hauses saß. »Doch, doch, wir reiten sie auch«, sagte er. »Natürlich. Die Bewegung tut ihnen gut, besonders Nellie. Buck wird’s, fürchte ich, nicht mehr lange machen ...«
    Sie warf ihm einen scharfen Blick zu. Es war ein heikles Thema zwischen ihnen. Betsy war acht, und Marianne war gerade elf geworden. Beide waren alt genug, um zu wissen, dass alles, was lebte, auch sterben musste – immerhin wuchsen sie auf einer bewirtschafteten Ranch auf: da waren die Schafe, die Herbie schoss, damit sie Fleisch hatten, da waren der Truthahn, den die Füchse geholt hatten, und die Katze, die unter die Veranda gekrochen war, um in Ruhe zu sterben, und die sie erst entdeckt hatten, als sie begonnen hatte zu stinken. Aber die Pferde – das war etwas ganz anderes. Die Pferde gehörten praktisch zur Familie. Die Mädchen waren mit ihnen aufgewachsen und hatten auf Buck, dem großen, geduldigen Rotschimmel, reiten gelernt. Er war alt und steif, das wussten sie – laut Jimmie war Buck auf der Ranch, seit Bob Brooks sie übernommen hatte –, aber sie wollte nicht, dass Herbie vor den Kindern davon sprach. Als er einmal erzählt hatte, dass Buck auf dem Weg vom Strand hinauf gestolpert war (»Um ein Haar wäre er in die Schlucht gestürzt, und mich hätte er dabei mitgerissen«), hatte Betsy gefragt: »Muss Buck mal sterben?«, und sie hatte ehrlich sein wollen und gesagt: »Ja, mein Schatz, alles muss mal sterben, sogar Buck. Aber das hat noch eine Weile Zeit, darum brauchst du dir keine Sorgen zu machen.« »Warum?« hatte Betsy gefragt, und Elise wusste nicht, ob ihre Frage darauf abzielte, warum sie sich keine Sorgen machen sollte oder warum alles sterben musste. Eigentlich hätte sie auf beides keine Antwort gewusst.
    »Er muss sechsundzwanzig, siebenundzwanzig Jahre alt sein. Aber er ist ein gutes altes Pferd.« Herbie sah seine Töchter an, die über ihre Teller hinweg zu ihm aufblickten. »Stimmt’s, Mädchen?«
    Sie nickten feierlich.
    »Dürften wir uns die Pferde dann mal ausleihen?« fasste Reg nach. »Das würde uns die Patrouillen sehr erleichtern – wir könnten bis ans andere Ende der Insel, ich meine, bis Point Bennett und so.«
    Von einem seiner Hochgefühle getragen, war Herbie in großzügiger Stimmung. Hätten die Jungs Elise gefragt, dann hätte sie nein gesagt. Sie meinten es vermutlich gut – oder jedenfalls nicht schlecht –, aber man konnte nicht wissen, was sie tun würden, wenn sie außer Sichtweite des Hauses waren. Sie hatte Angst um die Pferde – und auch um die beiden. Ein Matrose mit gebrochenem Genick hatte ihnen gerade noch gefehlt. Doch Herbie sagte mit huldvoller Gebärde: »Mal sehen.«
    Am Abend des 23 . Februars fuhr ein japanisches U-Boot – ein gewaltiges Ding, länger als ein Footballfeld – in den Santa-Barbara-Kanal, unentdeckt von der Küstenwache, vom Air Corps und den beiden Navyjungs, die man nach San Miguel geschickt hatte, um sie und ihre Familie vor japanischen Angriffen zu beschützen. Später wurde darüber spekuliert, der Steuermann des U-Boots müsse jemand gewesen sein, der sich in diesen Gewässern hervorragend ausgekannt habe, ein ehemaliger Fischer vielleicht oder der Kapitän eines der japanischen Tanker, die vor dem Krieg regelmäßig gekommen seien, um Rohöl zu laden. Jedenfalls tauchte das U-Boot um sieben Uhr auf und begann, das Ellwood-Ölfeld knapp westlich von Santa Barbara zu beschießen, um die Lagertanks in Brand zu setzen und einen Feuersturm auszulösen. Es war der erste Angriff auf das amerikanische Festland seit dem Krieg von 1812 , und obwohl sämtliche Schüsse ihr Ziel verfehlten, wurde Alarm ausgelöst und Verdunkelung angeordnet. Die Menschen entlang der Küste gerieten in Panik und glaubten, eine Invasion stehe unmittelbar bevor. Auf San Miguel dagegen – daran konnte sie sich später gut erinnern – saßen sie an diesem Abend am Kamin und spielten Karten, während die Mädchen ihre Hausaufgaben machten und der Wind kreischend, heulend und pfeifend um das Haus tobte. Niemand hörte etwas.
    Von dem Angriff erfuhren sie erst am nächsten Morgen, als über Funk – der jetzt nur noch für nautische Belange benutzt werden durfte – eine Meldung nach der anderen durchkam. Alle verstummten. Man versammelte sich im Wohnzimmer, auch die Mädchen, die sich nicht abhalten ließen. Die Stimme des Funkers verkündete unter Zischen und Knarzen die nackten Tatsachen: Feindliches

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