San Miguel: Roman (German Edition)
der Krieg vorbei war und die großen Städte Japans unter dem Gewicht der nationalen Schande und der amerikanischen Bomben zusammengekracht waren und einen tausendfachen Preis für Pearl Harbor und Bataan und alles andere bezahlt hatten, erfuhr sie, dass der »Ellwood-Zwischenfall«, der einzige Angriff auf das amerikanische Festland während des gesamten Krieges, ein Einzelfall gewesen war und dass der Kapitän des U-Boots – der vor dem Krieg tatsächlich als Steuermann auf einem Öltanker in diesen Gewässern gefahren war – auf eigene Faust gehandelt hatte, um sich für Kränkungen zu rächen, die ihm amerikanische Raffineriearbeiter zugefügt hatten. Die Kanoniere des U-Boots waren unfähig gewesen und hatten kein einziges Ziel getroffen. Und das U-Boot selbst hatte nach erfolgtem Beschuss abgedreht und war quer über den halben Pazifik geflohen.
Aber das wusste sie damals nicht. Sie wusste nur, dass die Japaner zugeschlagen hatten und jederzeit wieder zuschlagen konnten. Wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit auf den Hof ging, hatte sie das Gefühl, die Nacht habe sich in etwas Feindseliges verwandelt. Alle Geräusche veränderten sich, bis sie im entfernten Donnern der Brandung Geschützfeuer und im plötzlichen schrillen Schrei einer Möwe einen Kampfbomber im Sturzflug zu hören glaubte. Sie hatte Angst um die Mädchen. Um Herbie. Um sich selbst. Sie machte weiter, als wäre alles wie immer, sie kochte, putzte, nähte, unterrichtete, sie flickte Herbies Sachen und fütterte die Tiere, doch die ganze Zeit spürte sie tief innen eine Spannung, die sich anfühlte wie eine körperliche Abnormität, als wäre ihr Magen ein Knäuel aus Draht, aus Stacheldraht, wie man ihn benutzte, um Eindringlinge fernzuhalten.
Die Hermes erlöste sie davon. Der bloße Anblick reichte: Hier waren ihre wahren Beschützer, die unerschrocken auf dem Meer patrouillierten, wie sie es immer getan hatten und immer tun würden – My country, ’tis of thee, sweet land of liberty –, und keinen Augenblick lang dachte sie, die Hermes könnte gekommen sein, um sie zu evakuieren. Nicht diese Männer, nicht jetzt, da alle Amerikaner zusammenstehen mussten. Nein, sie brachten Lebensmittel, sie brachten Hilfe – sie waren gekommen, weil sie sich sorgten.
Alles brach in hektische Betriebsamkeit aus. Sie konnte ihren Hut nicht finden, Marianne war barfuß, Herbie zog das erstbeste an, was ihm in die Hände fiel. Kein Gedanke an den Ofen oder die Tiere oder daran, dass jemand ein Auge auf das Haus haben musste – sie rannten hinaus, allesamt, sie eilten den Weg hinunter zum Strand: die Navyjungs, der Hund, sie und Herbie und die Mädchen, die aufgekratzt waren, weil die Schule ausfiel. Und noch bevor die Lebensmittel ausgeladen waren, hörten sie die neuesten Nachrichten, und es waren die Nachrichten, die sie sich ersehnt hatte: Die Gefahr war minimal gewesen, eigentlich nicht vorhanden, auf jeden Fall war sie vorüber. Glaubte sie es? Nicht wirklich. Nicht ganz. Und auch Herbie war kaum beruhigt, obwohl er den Kapitän und die Mannschaft stundenlang befragt hatte, und als die Hermes wieder fort war, studierte er die Post und die Zeitungen, die sie gebracht hatte, wie ein Bibelexeget die Offenbarung des Johannes und klopfte jeden Satz auf etwaige versteckte Bedeutungen ab, als könnte er so die Wahrheit ergründen, die die Welt vor ihm verbarg.
Sie hatte sechs Briefe von ihrer Mutter, einer eindringlicher und schriller als der andere, als wären sie bereits in einem Gefangenenlager im Dschungel von Malaya. War es denn nicht genug? wollte ihre Mutter wissen. War dieser Angriff denn nicht der Beweis? War er denn nicht ein Zeichen Gottes, wie es deutlicher nicht sein konnte? Ihre Mutter hatte eine elegante, nach links geneigte Schrift, die zum Ende der Zeile hin immer gedrängter wurde, und vor ihrem geistigen Auge sah Elise sie mit verkniffenen Lippen, den Federhalter fest in der über das Papier gleitenden Hand, in ihrem Salon am anderen Ende des Landes an ihrem Schreibtisch sitzen. Jeder Brief endete mit demselben, zweimal unterstrichenen Imperativ: Komm nach Hause!
Obwohl sie nicht wusste, wann sie ihn würde abschicken können, schrieb sie ihrer Mutter einen langen Antwortbrief, in dem sie ihr versicherte, alles sei gut (auch wenn das nicht stimmte und alles erst wieder gut sein würde, wenn die Japaner zurück in ihre Löcher gekrochen waren und die Leute vom Innenministerium ihre Untersuchung in den Papierkorb geworfen hatten), und
Weitere Kostenlose Bücher