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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sie könne sich kein anderes Leben vorstellen. Dann schilderte sie seitenlang, was Marianne und Betsy taten und welche Fortschritte sie gemacht hatten, und äußerte ihre Überzeugung, der Frieden und die Schönheit der Insel würden sie nicht nur durch den Krieg bringen, wie sie die Familie durch die Wirtschaftskrise gebracht hatten, sondern die Mädchen auch stärker, reiner und selbstbewusster machen. Sie verschloss den Umschlag, klebte eine Marke darauf und glaubte es beinahe selbst.
    Wochen vergingen. Herbie rollte unermüdlich und unbeirrbar auf den Gleisen seiner fixen Idee dahin und patrouillierte über die Insel, ob es ihn nun von ihr und den Kindern und seinen anderen Aufgaben fernhielt oder nicht. Im ersten Morgenlicht ging er los, das Fernglas um den Hals, die Flinte über der Schulter, zwei Patronengurte kreuzweise umgehängt, und in der Abenddämmerung machte er noch einmal die Runde. Reg und Freddie dagegen verloren das Interesse, sobald deutlich war, dass keine Gefahr mehr bestand und die Tage so lang und das Festland so weit entfernt waren wie zuvor. Sie ließen bei der Erledigung ihrer Aufgaben nach und verschwanden gleich nach den Mahlzeiten – auf Erkundungsgang, wie sie es nannten –, so dass Herbie sie jeden zweiten Tag, wie es schien, ermahnen musste. Sie sah den Zusammenstoß kommen, beide Navyjungs begehrten auf, und eines Tages hatte Reg genug und unterbrach Herbie mitten in einem Vortrag über persönliche Verantwortung. »Es tut mir leid, Sir«, sagte er, strich mit zwei Fingern fest über seinen Adamsapfel und sah Herbie direkt an, »aber Sie sind nicht unser Kommandierender Offizier, und – «
    »Euer Glück.«
    »Und wir finden« – ein Blick zu Freddie –, »dass wir alles tun, was die Navy von uns erwartet.«
    »Ja«, sagte Freddie. »Mehr als das.«
    Sie saßen bei Tisch. Ein Abend wie jeder andere. Ein Essen wie jedes andere. In der Küche standen die schmutzigen Töpfe, auf den Tellern gerann die Sauce. Es roch nach Rauch, Asche und dem nassen Hund unter dem Tisch. Herbie schob seinen Stuhl zurück und sah die beiden mit einem vernichtenden Blick an. »Seid froh, dass die Mädchen am Tisch sitzen, sonst würde ich euch nämlich mal sagen, wie es mit eurer Pflichterfüllung aussieht. Und ich schwöre, ich weiß nicht, was die U.S. Navy erwartet oder nicht erwartet, aber ich bin der Vorstand dieses Haushalts, und ihr werdet tun, was euch aufgetragen wird, und zwar gern. Dieser Holzstoß ist eine Schande. Und ich habe seit einer Woche – mindestens einer Woche – keinen von euch beiden mit einer Schaufel auf dem Hof gesehen. Nein, hört zu, ich mach’s kurz und einfach: Ihr erhebt euch jetzt sofort von euren vier Buchstaben und macht euch in der Küche an die Arbeit, oder morgen früh gibt’s nichts zu essen.«
    Keiner von beiden erschien zum Frühstück. In den mehr als drei Monaten ihrer Einquartierung war es die erste Mahlzeit, die sie ausließen. Am Abend zuvor hatten sie die Küche aufgeräumt, aber sie hatten es missmutig getan und waren gleich darauf hinausgegangen und bis spät in der Nacht draußen herumgewandert. Sie erwachte vom Scharren ihrer Schritte auf der Veranda und dem leisen metallischen Seufzen der Türangeln und sah auf den Wecker auf dem Nachttisch: fünf nach halb zwei. Als sie am Morgen aufstand, war kein Feuerholz in der Kiste, und sie musste selbst zum Holzstapel gehen, um es zu holen. Sie sah sofort, dass er vernachlässigt worden war – dort lagen hauptsächlich große Stücke, die zersägt und gespalten werden mussten –, und sie nahm sich vor, die Jungs vor dem Mittagessen beiseite zu nehmen, bevor Herbie es merkte, aber auch zum Mittagessen erschienen sie nicht.
    Herbie hatte den Morgen damit verbracht, zu Fuß auf Patrouille zu gehen – er war auf den Gipfel des Green Mountain gestiegen und hatte das Meer im Norden und Westen mit dem Fernglas abgesucht –, und als er sah, dass die beiden nicht da waren, explodierte er. »Diese kleinen Scheißer«, rief er, und sie musste ihn ermahnen, auf seine Ausdrucksweise zu achten. Die Mädchen sahen von ihren Tellern auf, und eine unentschlossene Aprilsonne warf einen Lichtfleck auf die Wand und ließ ihn wieder verschwinden. »Wenn die meinen, sie könnten sich widersetzen ... Aber sie werden sich fügen müssen, ist mir doch egal. Wir werden ja sehen, wer länger durchhält.«
    Was sie ihm im Interesse des häuslichen Friedens verschwieg, war, dass ein Laib des gestern gebackenen Brots, mehrere

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