San Miguel: Roman (German Edition)
Monat.«
Wieder Schweigen. Dann sagte Freddie: »Was machen Sie hier draußen normalerweise – ich meine, bevor dieser Krieg angefangen hat? Zur Unterhaltung und so?«
Sie zuckte die Schultern. »Ach, es gibt eigentlich immer was zu tun. Mit der Zeit gewöhnt man sich an die Einsamkeit. Da sind natürlich die Mädchen. Und abends spielen wir Karten oder lesen oder hören Radio, wie alle anderen.«
Sie sah die beiden einen Blick wechseln. »Klingt toll«, sagte Reg schließlich.
Und weil es fünf vor acht war und sie strikt auf einen pünktlichen Unterrichtsbeginn achtete, faltete sie das Geschirrtuch zusammen, hängte es auf das Trockengestell und ging zur Tür. »Tut mir leid, aber jetzt ist Schule«, verkündete sie. »Die Glocke läutet in« – sie sah auf ihre Uhr – »genau drei Minuten. Würdet ihr bitte eure Teller spülen? Das Spülmittel ist in dem Schrank da.«
DIE PFERDE
Die Jungs von der Navy blieben meistens für sich. Sie erschienen regelmäßig zu den Mahlzeiten – das musste man ihnen lassen: Sie ließen keine einzige aus –, und die Mädchen beteten sie an, als wären sie vom Himmel gesandte Götzen, die sprechen und sich bewegen konnten, doch im Lauf der Wochen sah sie von ihnen immer weniger. Wenn sie nicht auf ihrem Zimmer waren und in Comicheften und Herbies alten Sportzeitschriften blätterten, wanderten sie – ziellos, wie sie vermutete – über die Insel, durchdrungen vom Gefühl der Pflichterfüllung, das ihnen das Gewehr verlieh. Sie verloren nie ein Wort über Herbies Sammlung, die inzwischen auf mehr als dreißig Stück angewachsen war, sondern hatten nur ein paar überraschte, bewundernde Laute ausgestoßen, als er sie zum erstenmal ins Wohnzimmer geführt hatte, um damit anzugeben. Und wenn es sie ärgerte, dass ein Privatmann ein ganzes Waffenarsenal zur Verfügung hatte, während sie nur halbbewaffnet waren, so ließen sie es sich nicht anmerken.
Dass sie sich langweilten, stand außer Frage. Es blieb ihnen auf der Insel nichts anderes übrig, als ihren in dem Befehl formulierten Auftrag zu erfüllen – dabei sehnten sie sich nach Leben, nach dem Nachtleben, nach Kneipen und Tanzlokalen und Mädchen in ihrem Alter, nach Filmen, Automobilen und Swingbands, nach Harry James und Benny Goodman, und das konnte sie den beiden nicht vorwerfen. Was sie ihnen allerdings sehr wohl vorwarf, war die Vernachlässigung der Aufgaben, die Herbie und sie ihnen zugeteilt hatten: Mehr als einmal musste sie sie daran erinnern, dass sie, entgegen allem Anschein, nicht ihre Mutter war und sie, wenn sie essen wollten, unaufgefordert den Tisch decken und abräumen, das Geschirr spülen und dafür sorgen mussten, dass die Kiste mit dem Brennholz immer randvoll war. Und wenn der eine Marianne bei den Rechenaufgaben helfen oder der andere Betsy aus einem Buch vorlesen wollte, so war das sehr willkommen, entband sie aber keineswegs von ihren anderen Aufgaben.
Sie verstanden sich gut mit den Mädchen, das musste sie zugeben, aber der Unterhaltungswert von Kinderspielen wie Verstecken, Blindekuh, Ochs am Berg, Dame, Quartett und Schwarzer Peter hielt sich in engen Grenzen. Sie sah ihnen an, wie sehr sie sich langweilten: tagein, tagaus dasselbe, nirgends, wohin man gehen, und nichts, was man tun könnte. Das einzige, für das sie, abgesehen vom Essen, irgendein Interesse aufbrachten, waren die Pferde. Eines Tages, beim Mittagessen – die Mädchen kicherten, alberten herum und wetteiferten um die Aufmerksamkeit der Jungs, und der Hund verfolgte die herumgereichte Platte mit starrem Blick –, räusperte sich Reg und wandte sich an Herbie. »Die Pferde in der Scheune, Buck und Nellie – reiten Sie auf denen auch mal aus, oder sind die nur dafür da, Sachen vom Strand heraufzuholen?«
Herbie war aufgeräumter Stimmung und sprach mal wieder über Schafe und darüber, wie gut sie gediehen, weil es nämlich langsam danach aussah, als würde es ein schöner, feuchter Winter werden, ganz gleich, was die Navy, das Innenministerium oder die Japaner dazu sagten, und er hatte ihr gerade erzählt, dass dieses Jahr anscheinend mehr Zwillingslämmer geboren würden, als er für einen Augenblick innehielt, um den Suppenlöffel zum Mund zu führen, und Reg seine Frage stellen konnte. Herbie ließ sich Zeit, legte den Löffel hin und tupfte sich, korrekt wie immer, mit der Serviette den Mund ab – er hatte hervorragende Manieren, ob er nun mit gewachstem Schnurrbart an eine Tür in der Upper East Side klopfte
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