Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
U-Boot, 19 Uhr, Verluste bisher nicht bekannt . Die Navyjungs saßen bleich und erschrocken auf den Kanten ihrer Stühle, während Herbie mit der Zentrale auf dem Festland sprach, sie wippten mit den Füßen und sahen immer wieder zu den Fenstern, als rechneten sie damit, dass sich zwischen den Schafen Soldaten der kaiserlichen Armee anschlichen. Herbie war außer sich. Er machte ihnen Vorwürfe, als wäre das alles nur ihre Schuld, als könnte man von ihnen erwarten, dass sie imstande seien, ein feindliches U-Boot im Dunkel der Nacht und auf sechzig Kilometer Entfernung auszumachen. »Wo wart ihr, als ihr gebraucht wurdet?« fuhr er sie an. »Wenn ihr auf Patrouille gegangen wärt, hättet ihr sie entdecken und ihre Position durchgeben können – wir hätten Flugzeuge schicken und sie bombardieren können, wir hätten sie vernichtet, diese verdammten schlitzäugigen Schweine.«
    Sie sah Herbie in ohnmächtiger Wut vor dem Funkgerät stehen: Er fuchtelte mit den Armen, und die Haare standen ihm zu Berge. Sie selbst spürte nur Angst und Hoffnungslosigkeit. Ihr Zufluchtsort bot keinen Schutz mehr, der Feind war vor der Tür. Die Japaner konnten überall sein – vielleicht waren sie schon in Simonton Cove gelandet, vielleicht waren sie sogar schon in Cuyler Harbor. Sie dachte an die japanischen Fischer, die vor Jahren zum Haus gekommen waren, sie sah ihre Gesichter wieder vor sich: so höfliche Menschen, sehr sanft – und so entzückt von dem Baby. Wie konnte so jemand eine Bedrohung sein? Es waren im Grunde anständige Menschen gewesen, das wusste sie, und der Kapitän hatte sogar Französisch gesprochen. Aber andererseits – und dieser Gedanke ließ sie frösteln – gab es die Japaner, von denen sie in der Zeitung gelesen hatte: dämonische, verdrehte kleine Männer, die Babys auf Bajonette spießten und Frauen reihenweise vergewaltigten, die mordeten und brandschatzten, die Nanking in Trümmer gelegt und Schanghai geknechtet hatten. Das war die Wirklichkeit. Und dies hier, dieser Traum von offener Weite, von Freiheit, von Selbständigkeit und Güte, schlichter Güte, war nichts als eine Täuschung.
    »Ende und aus«, sagte Herbie viel zu laut, schaltete das Funkgerät aus und fuhr herum zu den Navyjungs. »Worauf wartet ihr? Ihr wollt reiten? Dann reitet. Hier« – er ging zu der Wand, an der die Gewehre hingen, suchte eins aus und gab es Reg. »Und du, Freddie, siehst noch mal nach, ob du auch genug Munition für deine Springfield dabeihast. Sie haben euch doch Munition gegeben, oder?«
    Freddie hatte sich halb vom Stuhl erhoben und wirkte benommen. »Ja«, sagte er, »ja, ich glaube schon.« Er richtete sich zu voller Größe auf – nicht viel mehr als eins fünfundsechzig – und gab sich alle Mühe, kriegerisch auszusehen. Und was dachte sie? Dass dies das einzige war, was zwischen ihr und der kaiserlichen Armee stand? Dieser Junge? Er und der andere, der so aussah, als hätte er noch nie im Leben auch nur die Stimme erhoben?
    »Na gut«, sagte Herbie. Er hatte noch ein Gewehr von der Wand genommen, eins von den großen – war das nicht die Elefantenbüchse? »In genau zwei Minuten gehen wir auf Patrouille, und wir werden jeden Quadratmeter der Insel inspizieren. Habt ihr eure Ferngläser?«
    Die beiden starrten ihn nur an.
    »Dann holt sie! Und zwar schnell! Wer weiß, vielleicht – « Er unterbrach sich mitten im Satz. Sie wusste, was er hatte sagen wollen: Vielleicht sind sie schon hier . Aber er wollte sie nicht beunruhigen. Oder die Mädchen. Oder die beiden Navyjungs. Es war ein Augenblick der Krise, und sie spürte, dass ihr das Herz aufging: Ihr Mann war seiner Aufgabe gewachsen. Wenn sie je daran gezweifelt hatte – hier war der Beweis.
    »Und wisst ihr, was wir machen, wenn wir damit fertig sind?« sagte er und wartete die Antwort nicht ab. »Dann machen wir dasselbe noch mal.«
    In der Woche darauf ging die Hermes in der Bucht vor Anker, und als sie das Boot von fern dort liegen sahen, war es, als wäre der große amerikanische Adler persönlich gelandet, um sie zu retten. Sie hatte die ganze Woche in Angst gelebt. Weder das Funkgerät noch das Radio brachten irgendwelche konkreten Informationen. Es hieß lediglich, bei dem Beschuss habe es sich um einen vereinzelten Zwischenfall gehandelt, die Japaner seien keineswegs dabei, eine Invasion vorzubereiten, sondern steckten jenseits des Pazifiks fest, und die Navy werde alles daransetzen, dass sie auch dort blieben. Später, viel später, als

Weitere Kostenlose Bücher