San Miguel: Roman (German Edition)
verändert, hatte sie sich getäuscht. Er tat alles, was sie ihm sagte. Er tat es gern, er tat es bittend, kriecherisch, es gab keine Erniedrigung, der er sich ihr zuliebe nicht ausgesetzt hätte. Im Lauf der nächsten Wochen lernte sie ihn zu bearbeiten, bis die weiße Flüssigkeit aus ihm herausspritzte, und nach und nach gewährte sie ihm die eine oder andere Gunst, wobei sie aber immer nur einen Teil ihres Körpers entblößte und nie das Kleid oder die Unterwäsche auszog, ganz gleich, wie gierig er sie streichelte, wie leidenschaftlich er sie küsste, wie verzweifelt er bat und bettelte. Sie war neugierig. Natürlich war sie das. Und er befriedigte ihre Neugier – ja mehr noch: Seine Berührung brachte sie in Wallung, auch wenn sie es nicht einmal sich selbst eingestand –, aber dies war kein Pakt unter Gleichen: Sie war immer die Herrin, und er war immer der Sklave.
MRS. CALIBAN
An einem schönen, sonnigen Tag Ende Juli, der das Festland so dicht heranholte, als wäre der Kanal nichts weiter als ein stiller kleiner Teich, den man in einer Viertelstunde durchschwimmen konnte, war sie wieder auf Charlie Curners Schoner. Ihr Stiefvater nahm sie für drei Tage mit nach Santa Barbara, wo er geschäftlich zu tun hatte. Sie würde in einer Pension für junge Frauen untergebracht werden, die von einer Mrs. Amelia Cawthorne geführt wurde, und das Haus nur in Begleitung ihres Stiefvaters oder Mrs. Cawthornes verlassen. Das hatte sie versprechen müssen – was war ihr übriggeblieben? Hätte sie es nicht versprochen, dann hätte er sie nicht mitgenommen. Du musst einen heiligen Eid schwören , hatte er gesagt, und das hatte sie getan, bereitwillig, demütig, mit leuchtenden Augen und einem schmeichlerischen, dankbaren Lächeln. Beinahe hätte sie geknickst – sie hätte es getan, sie hätte alles getan –, aber das hätte vielleicht seinen Argwohn geweckt, und das wollte sie nicht riskieren. Tatsache war, dass ihr Stiefvater in den vergangenen drei Monaten zweimal ohne sie zum Festland gefahren war. Beim zweitenmal hatte er Jimmie mitgenommen, als wollte er Salz in ihre Wunden reiben, und sie war zurückgeblieben mit Adolph und den Schafen und einer so tiefen, alles durchdringenden Verzweiflung, dass sie die ganze Zeit im Bett geblieben war, und falls Adolph sich bei ihrem Stiefvater beschwert hatte, weil er um seine täglichen drei Mahlzeiten gebracht worden war, so wusste sie nichts davon. Es wäre ihr auch gleichgültig gewesen. Also gab sie ihm ihr Versprechen, sie schwor es ihm – bei meiner Seele, bei der Bibel, und Gott ist mein Zeuge –, ein Versprechen, das sie bei der ersten Gelegenheit brechen wollte.
Mrs. Cawthorne war eine stattliche Frau, eine in Fett gebettete Matrone, deren Mann, ein Schiffsbauer, vor zwanzig Jahren mit einem seiner eigenen Schiffe auf See verschollen war. Sie hatte kleine, eng zusammenstehende Augen, die stets blinzelten, und schien jeden Raum, in dem sie sich gerade befand, vollkommen auszufüllen. Die anderen drei Gäste waren ältliche Fräulein in verschiedenen Stadien der Hinfälligkeit. Ediths Stiefvater bezahlte im voraus und sagte Mrs. Cawthorne, er werde am nächsten Morgen kommen und seine Tochter abholen, damit sie ihn bei seinen Geschäftsbesuchen begleitete. Jetzt aber – und hier hatte er sie bedeutungsvoll angesehen, bevor er sich wieder Mrs. Cawthorne zuwandte, die mitten in ihrem Salon stand und die geschwollenen Hände faltete – sei sie erschöpft von der Reise und wolle zweifellos gleich nach dem Abendessen auf ihr Zimmer gehen. Die Vermieterin musterte sie lange und mit zusammengekniffenen Augen. Eines der Fräulein, uralt und mit klauenartigen Händen, das in einem zu fest gepolsterten Sessel am Kamin eingenickt war, fuhr mit einem Schnaufen hoch und starrte sie an. »Stimmt’s, Edith?« sagte ihr Stiefvater. Wie vor den Kopf geschlagen – er wollte sie nicht einmal einen Schaufensterbummel machen lassen oder mit ihr zum Abendessen oder sonstwohin gehen? – nickte sie stumm.
In der Nacht erwachte sie zu einer ganzen Symphonie seltsamer Geräusche: Wasser strömte durch Leitungen, das Haus stöhnte und ächzte, während die Stunden daran nagten, der Hund des Nachbarn bellte, und vor dem Fenster ertönte ein leises Zischen, als wäre ein Riese dabei, mit einem ausgerissenen Baum die Straßen zu kehren. Ihr Stiefvater hatte ihr einen Dollar als Taschengeld gegeben, als wollte er sagen: Mal sehen, wie weit du damit kommst , aber wovon er nichts wusste,
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