San Miguel: Roman (German Edition)
Insel, die, wenn überhaupt, nur für ihre gefährliche Küste bekannt war, für die Nebel, die sie unsichtbar machten, für die Böen, die um Point Conception fegten, Masten zerbrachen, Segel zerrissen und Schiffe auf die Felsen schmetterten, für das Kreischen zersplitternden Holzes. Man nannte sie den Friedhof des Pazifiks. Sie nannte es Nirgendwo. Wenn sie nachts in ihrem klammen Bett lag – alles war feucht, immer feucht, über die Matratze kroch der Schimmel wie eine leckende Zunge, und die Wände waren nass von Kondenswasser –, hörte sie den Wind, das ferne Läuten einer Schiffsglocke und das verklingende, gespenstische Bellen der Füchse, die hier nicht größer als Katzen waren, und verlor sich in Fluchtphantasien. Sie wünschte, sie hätte ein Boot. Sie wünschte, sie könnte schwimmen wie ein Fisch. Oder einfach über das Wasser gehen wie Jesus – obwohl der es auf dem See Genezareth wohl kaum mit solchen Wellen zu tun gehabt hatte. Oder mit diesem Wind. Oder mit Haien. Oder dem Geist des Chinesen, den man in mondlosen Nächten klagen hörte, weil er sich mit einem rostigen Messer die zwischen zwei Felsen eingeklemmte Hand hatte abschneiden müssen, um nicht beim Einsetzen der Flut zu ertrinken.
Ihre ersten Versuche in der Küche waren unbeholfen und untauglich – alles schmeckte fade oder angebrannt, die Bohnen waren steinhart, und die Suppe war so salzig wie Meerwasser. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Mal war der Herd zu heiß, mal war er zu kalt. Töpfe kochten über, das Fleisch im Ofen wurde schwarz. Sie servierte den drei Männern Frühstück (braunverbrannte Spiegeleier und kreidigen Haferbrei), Mittagessen (in Schmalz gebratenes Lamm- oder Pökelfleisch mit scharfer Sauce, mexikanischen Bohnen, Bratkartoffeln und Brot, das nicht aufgegangen und daher so hart wie Schiffszwieback war) und Abendessen (desgleichen), und dann setzte sie sich mit ihrem Teller ans untere Ende des Tischs und sah zu, wie sie eine Gabelvoll nach der anderen in den Mund steckten. Sie verzogen das Gesicht und vermischten Fleisch, Bohnen und Kartoffeln zu einem Brei, den sie in Bratenfett und scharfer Sauce und Pfeffer ertränkten, doch keiner beschwerte sich, jedenfalls nicht bei ihr. Tatsächlich schienen in jenen ersten Wochen alle auf Zehenspitzen um sie herumzuschleichen: Adolph war ausweichend und unverbindlich, Jimmie war fürsorglich, und ihr Stiefvater überschlug sich geradezu vor Freundlichkeit, denn er sah, dass sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden, wenn auch nicht versöhnt hatte – aber was blieb ihr auch anderes übrig?
Er übernahm das Schlachten und zeigte ihr, wie man die Messer schärfte, wie man Koteletts schnitt und in der Pfanne zubereitete oder wie man eine Lammkeule mit Thymian und Rosmarin einrieb und so im Ofen briet, dass das Fleisch saftig blieb und nicht wie Sägespäne schmeckte. Wenn es Truthahn oder, was seltener vorkam, Hähnchen gab, war Jimmie derjenige, der das Tier in die Ecke trieb, mit einem Hieb des Küchenbeils köpfte und an den Füßen aufhängte, damit es ausblutete, aber Ediths Aufgabe war es, den Vogel zu rupfen, abzusengen und auszunehmen. Ihre Hände waren nass von den Körpersäften, die sich unter ihren Fingernägeln absetzten, so dass sie sie ständig reinigen und mit dem Stäbchen aus Orangenholz über die Nagelhaut reiben musste. Beim erstenmal wollte sie es sich ersparen und ritzte die bleiche, noppige Haut zaghaft mit der Spitze des Messers, bis Jimmie es ihr aus der Hand nahm und den Vogel von dem Loch an seinem Hinterteil bis zum Brustbein aufschlitzte, und als sie die Innereien mit Messer und Löffel entfernen wollte, griff er einfach in die Bauchhöhle und zog alles heraus. »Kein Grund, so zimperlich zu sein«, sagte er. »Das sind bloß Viecher. Das ist bloß Fleisch.«
Die Tage taumelten dahin. Ihre Hände wurden kräftiger. Sie schnitt sich, sie verbrannte sich zwei-, dreimal täglich am Herd oder am Griff der Pfanne und lernte es zu ignorieren. Aus Langeweile – und auch um einen gewissen Standard zu wahren – putzte sie die Küche, bis alles so ordentlich war wie zu der Zeit, als Ida und ihre Mutter hiergewesen waren, und ganz allmählich stellte sie fest, dass sie tatsächlich kochen konnte, und sei es nur zur Selbsterhaltung. Nicht dass es viele Variationsmöglichkeiten gegeben hätte – die Gerichte waren so stereotyp, dass ihre Zubereitung Ritualen glich, und immer fehlte es an diesem oder jenem, so dass sie gezwungen war zu improvisieren
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