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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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–, aber immerhin schmeckte es jetzt besser, das fand sie jedenfalls. Das Backen allerdings lernte sie nie – ihre Brote waren wie Ziegelsteine aus Weizenmehl, ihre Puddings hart und gummiartig. Und wenn sie Abalonen briet, waren sie jedesmal fade und zäh, ganz gleich, wo sie die Pfanne auf der Herdplatte plazierte. Obwohl es das Lieblingsessen ihres Stiefvaters war (immerhin kosteten Abalonen nichts), hörte er nach einer Weile auf, ihr welche zu bringen.
    Sie hatte gehört, man könne sich an alles gewöhnen. Polarforscher schlachteten ihre Hunde, um nicht zu verhungern, und trugen ihre Pelze, als wären die Tiere, die zuvor darin gesteckt hatten, nicht ihre vertrauten Gefährten gewesen. Gefangene in Einzelhaft freundeten sich mit Ratten oder Kakerlaken an. Und Robinson Crusoe fühlte sich auf seiner Insel so zu Hause, dass er sie gar nicht mehr verlassen wollte. Doch für Edith war Gewöhnung ein Fluch. Das Gewöhnliche schlug über ihr zusammen und hatte doch mit ihrem Leben nichts zu tun. Am schlimmsten waren die Abende. Tagsüber war sie so eingespannt, dass sie kaum zum Nachdenken kam, und wenn sie nicht damit beschäftigt war, aufzuräumen und abzuwaschen oder die nächste Mahlzeit zuzubereiten, ging sie aus dem Haus und marschierte durch die Dünen und über die Hügel, bis sie so stark und ausdauernd war wie ein Bergsteiger und ihre Gedanken schweifen lassen konnte. (Wenn sie ein verlassenes Lamm sah, ließ sie es blöken, und wenn Jimmie oder ihr Stiefvater es fanden, schlachteten sie es, und dann aßen sie Frühlingslamm, und auch darüber dachte sie nicht weiter nach. Sie war nicht sentimental, nicht mehr.) Doch abends, wenn der Tisch abgeräumt und das Geschirr abgewaschen war, fühlte sie sich von der Leere überwältigt.
    Dankbar für die Ablenkung, war sie an den meisten Abenden bereit, den vierten Spieler beim Whist abzugeben, und wählte dann gewöhnlich Jimmie als Partner. (»Ausgezeichnete Wahl«, sagte ihr Stiefvater dann, der am Kartentisch immer bester Laune war. »Da tut sich das Jungvolk also wieder mal gegen die Alten zusammen, was, Adolph? Und wer wird auch diesmal wieder gewinnen?«) Als Kartenspieler war Jimmie allerdings eine Niete – er war zu sehr damit beschäftigt, sie anzuglotzen oder ins Leere zu starren, als wäre er hypnotisiert, und er hielt seine Karten auch nie bedeckt, so dass ihr Stiefvater stets noch vor ihm zu wissen schien, welche Karte er ausspielen würde. Dennoch machten sie hin und wieder einen Stich, und manchmal gewannen sie sogar ein, zwei Spiele, und unwillkürlich verspürte sie dann eine tiefe Befriedigung, wenn sie sah, wie das Gesicht ihres Stiefvaters enttäuscht erstarrte. Es gab auch ein Ouija-Brett, aber ohne die Interpretation ihrer Mutter erschienen die Botschaften nichtssagend und banal ( Geister ringsum ; Schafgeld ; Schatz kommt Horizont ), und obgleich sie alle nur zu gern eine Nachricht aus dem Jenseits erhalten hätten, erschien nie der Geist ihrer Mutter. Die Männer konnten diesem Spiel ohnehin nicht viel abgewinnen, und so räumte sie das Brett nach zwei oder drei Versuchen weg und holte es nicht mehr hervor.
    Aber wie sie sich langweilte! Mit Jimmie machte sie da weiter, wo sie aufgehört hatten – sie war die Herrin, er der Sklave –, aber es war nicht dasselbe. Sie hatte das Leben kennengelernt, Ida war verstoßen, ihre Mutter tot, ihr Stiefvater zum Herrn über sie eingesetzt, all ihre Zukunftsaussichten waren dahin, als wäre ihr Leben ein Spiel, das sie jetzt schon verloren hatte, und so schienen ihre Inszenierungen eine Intensität zu gewinnen, die sie zuvor nicht besessen hatten. Auch Jimmie hatte sich verändert. Er war nicht wie früher damit zufrieden, den Stichwortgeber für sie zu spielen. Er war stärker und selbstsicherer geworden und wusste nur zu gut, dass sie inzwischen nur noch einen einzigen Vertrauten hatte. »Ich bin der Widder«, sagte er mit einem Seitenblick. »Und was bin dann ich?« fragte sie. »Das Schaf?« Er schlug ganz kurz die Augen nieder. »Ja«, sagte er dann gedehnt, als wäre das eine philosophische These, die er von allen Seiten betrachten müsste, »richtig. Ganz genau.« Sie langweilte sich. Er langweilte sich ebenfalls. Und wenn ihr Stiefvater versuchte zu verhindern, dass sie Zeit miteinander verbrachten und gemeinsam wanderten, den Strand absuchten, schwammen oder sonst irgend etwas taten, was sich seinen Blicken und seiner Kontrolle entzog, so fanden sie sich nur um so entschlossener

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