Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
ich ausgehe - wirst du nicht mit ihr, Gala und deinen noch zu zeugenden sieben Kindern in Frieden leben können. Für Okzitanien sind nicht nur die Zeiten der Minne und der höfischen Manieren vorbei. Du wirst sehen: Stirbt ein Schlächter, stehen zehn andere auf, um an seiner Stelle weiterzumachen. In einer solchen Welt willst du ein neues Geschlecht gründen? Für was oder für wen, frage ich dich? Dafür, dass man dir über kurz oder lang die Burg abnimmt, die Frau entreißt, sie einsperrt, tötet? Dafür, dass deine Kinder jahrelang verzweifelte Anstrengungen machen, dich aus dem Loch von Carcassonne zu befreien? Verstehst du denn nicht? Es wiederholt sich alles, es geht immer weiter, immer weiter ...“ Er packte Damian bei den Armen, schüttelte ihn. „Werd` erwachsen, Damian! Wach endlich auf!“
Damian entriss sich seinem Griff. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Er kannte Oliviers Dickschädel. Aber es musste sein, dass er ihm endlich widersprach. Der Krieg hatte alles verändert.
„Sei still!“, herrschte er ihn an. „Glaub mir, ich war wie du voller Bitterkeit und Hass, als Montfort damit herausrückte, dass dein Vater tot ist. Am liebsten hätte ich ihn umgebracht. Vielleicht ist aber auch meine Mutter längst tot und Montfort hat uns nur etwas vorgemacht, um an das Jesus-Tuch zu kommen. Man hat also uns und unseren Familien übel mitgespielt, das stimmt. Deshalb verzeihe ich Montfort nichts. Auch bin ich mir bewusst, dass sich nach meiner Hochzeit nicht das Tor zum reinen Glück öffnen wird. Doch aus Angst vor einem neuen Montfort gebe ich meine Hoffnung auf ein gutes Leben mit Gala nicht auf. Die Angst ist es nämlich, die uns unfrei macht und uns am Leben hindert.“
„Mag sein. Kluge Worte“, Olivier verzog mürrisch den Mund. „Und unser Schwur?“
„Tja, unser Schwur … Weißt du, Olivier, die Rache, die wir uns als Novizen geschworen haben, hat uns genährt und uns über manch schlimmes Ereignis hinweggeholfen. Wir sollten nicht zulassen, dass sie uns durch das ganze Leben begleitet ...“
Damian und Oliver disputierten noch bis in die späte Nacht hinein. Sie stritten und sie versöhnten sich wieder. Zum Schluss kamen sie überein, dass ihre Freundschaft immer eine kurante Münze bleiben würde, dass zukünftig jedoch jeder das Anrecht auf ein eigenes Leben besaß.
Die ersten Sackpfeifen kreischten, die Laubdächer des Carmes-Platzes waren mit bunten Bändern geschmückt und ein köstlicher Duft nach Gebackenem und Gebratenem zog durch die notdürftig aufgebauten Budenstraßen. Selbst Tische mit Schach- und Brettspielen standen schon wieder bereit.
Allzu lange hatte Toulouse die Fröhlichkeit entbehrt.
Auch der Rittersaal im Château Narbonnais war für den Freudentag mit weißen Tafeltüchern, Grünzeug und Blumenschmuck herausgeputzt worden.
„Wir haben gemeinsam Großes erreicht!“, rief Graf Raymond und gab mit Wohlgefallen bekannt, dass sich inzwischen selbst der Bischof von Albi und der Abt von Lagrasse nicht mehr gegen den okzitanischen Widerstand stellten. „Das Lager derjenigen, die der Vernunft den Vorzug vor der Gewalt geben, wächst. Unser Streben nach Freiheit geht weiter.“
Sancha nickte stolz. Sie trug ein neues Gewand aus flammendroter Seide und verbarg ihr Gesicht nicht länger hinter einem halben Schleier. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Sie wusste jetzt, was sie zukünftig tun wollte, nämlich ihre Leidenschaften der Arbeit für Toulouse unterordnen - für Ro ç und seinen Vater - und ihr Lebensglück in aller Ruhe suchen. In aller Ruhe, denn die Liebe und das Glück flohen bekanntlich um so schneller, je mehr man ihnen hinterherjagte. Nun, mit der Geduld haperte es noch, das Quäntchen Eitelkeit jedoch und die Lust zum Ruhm, die sie für ihre neue Aufgabe benötigte, waren ihr in die Wiege gelegt; und die nötige Freiheit für die Umsetzung ihrer Pläne würde sie sich zu verschaffen wissen. Sie hatte auch schon damit begonnen: Mit eigener Feder hatte sie an Nuno Sánchez geschrieben, den Großonkel ihres noch unmündigen Neffen Jakob. Bezugnehmend auf die aragónesischen Besitzungen in Okzitanien hatte sie Nuno bestimmte, gründlich durchdachte Vorschläge gemacht. Das gute Einvernehmen mit Aragón, ihrem und Leonoras Heimatland, durfte nicht aufs Spiel gesetzt werden und wer, wenn nicht sie, Sancha, war besser dafür geeignet, diese Verbindung aufrecht zu halten. Roç und Raymond hatten sie gestern sogar gebeten, in der nächsten Woche
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