Sanctus Satanas - Das 5. Gebot: Thriller (German Edition)
hast du dich getäuscht. Sie setzte sich wieder und blickte über den Schreibtisch
aus Nussholz hinweg zu dem hageren Mann mit der runden dunklen Hornbrille, der
in diesem großen Raum, dessen Wände mit Bücherregalen verstellt waren, wie
verloren wirkte. Die runde Brille des Psychiaters verstärkte den arroganten
Ausdruck seiner Augen.
»Ihrer Schweigepflicht bin ich mir bewusst.« Marisa
verlieh ihrer rauchigen Stimme einen eindrücklichen Ton. »Aber es sind Menschen
getötet worden, und in Kürze findet im Petersdom eine Heilige Messe statt, eine
prekäre Situation, trotz aller Sicherheitsmaßnahmen. Wollen Sie derjenige sein,
über den morgen in der Presse steht, dass er für den Tod weiterer Menschen
verantwortlich ist? Beantworten Sie meine Frage. Sie kennen ihn. Er war bei
Ihnen in Behandlung. Ich habe Ihr psychiatrisches Gutachten über diesen Mann in
einer Personalakte im Vatikan gefunden. Leider war der Name des Betroffenen mit
einem Pseudonym verschlüsselt, CDSS.LPB. Laut Ihres Gutachtens hat er eine
schizoaffektive Psychose, möglicherweise bereits erblich angelegt, offensiv
geworden durch einen schweren Verlust, der ihn getroffen hat. Kann das reichen,
damit er zum Mörder wird? Wer ist er? Sagen Sie es mir.«
»Es gibt keine rechtliche Grundlage, es Ihnen zu
sagen, Commissaria. Und nur weil er den katholischen Klerus hasst, heißt das
noch lange nicht, dass er Ihr gesuchter Mann ist.«
Marisa atmete hörbar aus und lehnte sich auf dem Stuhl
zurück. »Sie denken also, er könnte es sein?«
»Sie versuchen, mich auszutricksen.«
Marisas Augen blitzten. »Machen wir es anders.
Erzählen Sie mir allgemein etwas über Menschen, die so denken wie er.«
Der innerliche Kampf spiegelte sich in Castellaris Augen. Angespannt rückte er seine Hornbrille
zurecht. »Also gut. Wie Sie schon sagten. Er hat eine s chizoaffektive Psychose. Möglicherweise ist sie bereits erblich
angelegt. Bei ihm ist es die schizodepressive Variante in Form eines
pathologischen Schulgefühls, die subjektive Überbewertung einer Schuld, die er
sich nicht vergeben kann.«
Marisas Miene war unbewegt. »War?«
»Er schien mir geheilt. Allerdings …«
»Allerdings, was?«
»Er ist äußerst intelligent. Er könnte seine Heilung auch
vorgetäuscht haben. Von Anfang an hat er sich gegen eine Therapie gesträubt.
Aber einer der hochrangigen Kardinäle hat darauf bestanden.«
»Wer hat darauf bestanden?«
»Der jetzige Papst.« Lorenzo Castellari lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Setzen wir voraus, mein ehemaliger Patient wäre nicht geheilt.
Wahrscheinlich, dass er sein pathologisches Schulgefühl nicht ertragen kann. So
etwas kann zu Selbstmord führen. Möglich aber auch, dass er versucht, die für
ihn unerträgliche Schuld auf andere zu projizieren. Was machen
Sie?« Sein Blick glitt von den weichen Rundungen ihrer Oberweite zu ihrer
rechten Hand, mit der sie ihr Handy aus ihrer Jacketttasche zog.
»Ich setze meine Kollegen davon in Kenntnis.«
»Sie wissen doch gar nicht, wer er ist.«
Sie beugte sich zu ihm vor. »Aber Sie wissen es, und
Sie werden es mir jetzt sagen.«
Das Gesicht des Psychiaters war ausdruckslos.
»Unmöglich, eindeutig zu sagen, dass er Ihr Täter ist.«
»Für Eindeutigkeiten haben wir keine Zeit.«
»Sie bringen mich in Teufelsküche. Warum, denken Sie,
ist sein Name in der Akte wohl mit einem Pseudonym verschlüsselt?«
»Sagen Sie mir seinen Namen.«
Dieses Mal war es ein Poltern im Flur, das Marisa von
ihrem Stuhl aufspringen ließ. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor
die nussfarbende Zimmertür aufgestoßen wurde und gegen die Wand knallte.
»Keine Bewegung!«
Der mit einer Pistole bewaffnete blonde Mann, der sie
aus der offenen Tür anstarrte, war schweißnass und die junge dunkelhaarige Frau
vom Empfang, die er an sich drückte, wimmerte.
Der Blick des Mannes glitt zu Marisa. »Keine
Bewegung!«
Major Joel Born, alias Jan Herzog. Sie hatte sein Bild auf Christian Antonellis Computer
im Apostolischen Palast gesehen.Marisas Hand schnellte zu ihrem
Waffengurt.
»Hände hoch oder die Frau stirbt!«
Jan Herzog drückte der Empfangsdame die Mündung seiner
Waffe an die Schläfe. Trotz oder gerade wegen seiner heftigen Atemstöße hatte seine
Stimme etwas von Peitschenhieben.
Langsam nahm Marisa die Hände hoch. Aus dem
Augenwinkel sah sie, dass der Psychiater von seinem Stuhl aufgesprungen war.
»Wer sind Sie? Und wieso tragen Sie eine Waffe?«,
blaffte Jan Herzog
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