Sanctus Satanas - Das 5. Gebot: Thriller (German Edition)
David
ihm einen Arm auf den Rücken drehte. Widerstandslos ließ er sich die Halskette
von Lena aus der Hand nehmen.
Sie atmete hörbar aus, als sie sah, was es war.
»Sie haben sie …« Lenas Stimme war nur ein Flüstern.
»Sie haben Amelie getötet, ja? In der Ostsee? Ist es so? Sagen Sie es.«
Er sagte nichts.
David packte ihn bei der Kutte. »Sagen Sie es!«
Er senkte den Kopf.
»Neeeeiiiin! Du hast es getan, ja? Ameliiieee!« Das
Wasser spritzte, als Pater Jerome ins Meer rannte, bis es seine Knie umspülte,
noch immer Amelies Strickjacke in den Händen. In irrsinnigem Schmerz schrie er
es hinaus. »Ameliiiieeee!« Er schlang die Arme um den Körper und krümmte sich
zusammen. »Sie ist meine Tochteeer! Amelie ist meine Tochteeeer, nicht die des
Bischofs!«
»Was?« Ein Ruck ging durch Pater Nathans Körper.
»Ameliiieee!« Pater Jerome vergrub zitternd das Gesicht
in Amelies Strickjacke. »Amelie. Meine Amelie.«
Einen Augenblick lang wurden Lena die Knie weich.
Einen Augenblick lang hatte sie die Vision von Amelies starrem bleichem Körper,
der leblos wie ein Stück Treibholz auf dem Meer schwamm. Aber da war nichts.
David und Ispettore Visconti waren wie Pater Jerome
ins Wasser gelaufen und starrten auf die Wellen, blankes Entsetzen in den
Augen.
» Meine Tochter!« Pater Jerome lief zu Pater
Nathan zurück und stieß ihn rückwärts auf den Sand. »Meine Tochter, meine,
meine, meine, nicht die des Bischofs!«
»Aber …« Pater Nathan blickte zu ihm hoch.
»Es war so leicht, Nathan«, sagte Pater Jerome. »Das
ganze Dorf wusste doch, dass Marie Herzog bei jeder Gelegenheit die Nähe des
Bischofs gesucht hat, wenn er bei seinem Studienfreund Abt Daniel zu Besuch
war. Das ganze Dorf hat gemutmaßt, dass sie verliebt in ihn war. Aber am Ende
war es anders. An jenem Nachmittag habe ich Marie und den Bischof kommen hören.
Ich war dahinten am Kiefernwald auf dem Turm der Kapelle St. Anna.«
Lenas Blick glitt zu der kleinen weißen Kapelle, die
höchstens fünfzig Meter entfernt von ihnen am Rande des Kiefernwaldes stand.
»Schon von Weitem waren sie zu hören,
als sie kamen«, redete Pater Jerome weiter, »der Bischof, der jetzt inzwischen
unser Papst ist, und Marie. Sie liefen am Strand entlang und haben gelacht.«
*
Das
Meer ist ruhig an jenem Nachmittag vor achtzehn Jahren , während Pater
Jerome auf dem Turm steht. Kein Rauschen, kaum ein Plätschern, eine
Grabesstille, die ihn das Öffnen der Kapellentür, die Schritte und das Lachen
von Marie Herzog unten in der Kapelle deutlich hören lässt.
Ein Lachen wie das Läuten von Glocken, nicht zur
Andacht, sondern der Aufruf zur Sünde.
Ein paar Stufen steigt er von dem Turm zu der Kapelle
hinab, will hinuntergehen, um den Bischof zu begrüßen.
»Sie wollen es doch auch«, hört er Marie sagen, und
ihm stockt der Atem. Er bleibt auf der Treppe stehen.
»Was will ich, Kind?« Das ist die milde Stimme des
Bischofs.
»Sie wissen doch, was ich meine.« Maries Stimme
schnurrt wie ein Kätzchen. »Warum sonst gehen Sie so oft mit mir am Strand
spazieren?«
»Ich war der Meinung, du interessiertest dich für den
Glauben. Du schienst wissbegierig, alles darüber zu hören.«
»Das bin ich ja auch. Aber ich dachte …«
»Du dachtest, ich würde mehr für dich empfinden. Ich
mag dich, Marie. Aber du solltest dir einen Mann suchen, der zu dir passt. Noch
dazu bin ich fast dreimal so alt wie du. Das ist eine kindliche Schwärmerei von
dir, weiter nichts. Also unter diesen Umständen …«
»Sie können doch jetzt nicht einfach gehen!« Ein
Anflug von Hysterie schwingt in Maries Stimme mit.
»Doch ich muss es sogar. Es tut mir leid, mein Kind.«
Erneut hört Pater Jerome Schritte unten in der
Kapelle, dann das Knarren und Zufallen der Kapellentür.
Mit gesenktem Kopf steht Marie in der von Kerzen
erleuchteten Kapelle allein im Mittelgang zwischen den Kirchenbänken, als
Jerome von dem Turm hinabgestiegen ist.
Sie ist blutjung. Ein gelbes Kleid umschmeichelt ihre
schlanke Figur, ihre üppigen Brüste. Das dichte rötlichblonde Haar fällt ihr
offen auf den Rücken.
Ihr Blick, als sie seine Schritte hört, als sie ihn
sieht, ist Schmerz und Erschrecken unter Tränen. Doch dieser Blick änderte
sich. Der Schmerz darin weicht Trotz und Stolz, als er vor ihr steht.
»Sie haben es gehört, nicht wahr, Pater Jerome? Er hat
mich abgewiesen. Und dabei liebe ich ihn so. Aber er liebt Gott mehr als mich.
Wie kann er das? Bin ich so
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