Sanctus Satanas - Das 5. Gebot: Thriller (German Edition)
nimmt.
»Elisa.« Er streichelt ihre blasse Wange. »Elisa,
hörst du mich? Elisa, bitte wach auf! Wach auf, Elisa!«
Jemand legt eine Hand auf seine Schulter, ein
Polizist. »Beruhigen Sie sich.« Doch er schüttelt die Hand ab.
Nur selten hat er in seinem Leben gejammert, geweint.
Doch jetzt löscht die Qual seine gesamte bisherige Existenz aus. »Nein!« Er
vergräbt das Gesicht in den Händen. »Nein!«, und dann schreit er es.
»Neeeeiiiiin!«
Er weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, als eine
erneute Berührung an der Schulter ihn zusammenzucken lässt.
Er blickt zu dem Mann auf, der jetzt vor ihm steht.
Woher weiß er davon? Wie kann er hier sein?
Giorgia. Sie
hat gesagt, sie hätte im Vatikan angerufen.
Die Miene des Mannes, der zu der Zeit noch nicht der
Papst ist, ist ernst. Doch dann zeigt er ein mildes Lächeln und hält ihm seine
Hand hin.
»Folge mir«, sagt er. »Bete zu Gott. Schenk ihm deine
Liebe. Das wird deinen Schmerz lindern.«
Und er war ihm gefolgt.
Aber es hatte seinen Schmerz nicht gelindert.
Stattdessen hatte herausgefunden, wer ihm das angetan
hatte, Dominguez, Martinez, Costa und O'Neill und die restriktiven Gesetze der
Kirche, für die sie standen, aber vor allem er selbst.
Ich hätte Sarah und Elisa vor ihnen
schützen müssen. Ich hätte mich früher für sie entscheiden müssen.
Seine Gedanken kehrten von der Vergangenheit zu der
Gegenwart im Petersdom zurück.
Kardinal Rodriguez hatte das Gebet beendet.
Die Kameras der Fernsehteams liefen.
Die Journalisten wirkten gelangweilt.
Ihr giert nach Schlagzeilen? Ihr
werdet sie bekommen.
*
Wie
Nebelschwaden hing der Weihrauch über dem Altar, hinter dem Kardinal Josep
Samuel Rodriguez stand, während einer der beiden Zeremoniare Rodriguez eine
flache braune Dokumentenmappe aus Leder überreichte.
Commissario Bariello, links neben den Kirchenbänken
vor dem Altar stehend, starrte Rodriguez an und wischte sich über die Stirn; kalter
Schweiß. Die Schusswunde an seiner linken Bauchseite machte ihm zu schaffen,
die Wundnaht schmerzte. Das lange Stehen kostete Kraft. Er fühlte den
sorgenvollen Blick des Kollegen Tommasso Lacroix, der neben ihn getreten war,
auf sich ruhen.
»Setzen Sie sich doch, Commissario.« Lacroix deutete
auf die Kirchenbank rechts von ihnen. »Schließlich gehören Sie eigentlich noch
ins Krankenhaus.«
Bariello schüttelte den Kopf und blickte hinter sich. »Wo
ist Scarlatti?« Der Kommandant der Schweizergarde hatte hinter ihm gestanden.
»Gegangen, als er einen Anruf bekommen hat.«
Bariello blickte auf die Journalisten rechts auf den
Kirchenbänken. In einigen der Gesichter spiegelte sich Langeweile, während die
Priester und Nonnen in den Reihen dahinter aufmerksam der Messe folgten.
Kardinal Rodriguez' Miene war undurchdringlich, als er
die braune Dokumentenmappe aufklappte, die ihm der Zeremoniar gereicht hatte.
Doch seine Hand zitterte, ein Detail, das Bariello nicht entging.
Mit einer nervösen Bewegung rückte Kardinal Rodriguez
seine Brille zurecht, sah die Menschen auf den Kirchenbänken vor ihm an, um
dann wieder auf die aufgeklappte Dokumentenmappe zu blicken.
»Jesus sagt. ›Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet
werdet‹«, hallte seine Stimme über den Lautsprecher. Er sprach nicht weiter,
seine Hand zitterte erbärmlich.
Einer der Zeremoniare kam ihm zu Hilfe, nahm ihm die
Mappe aus der Hand und hielt sie ihm in Leseweite hin.
Lacroix und Bariello wechselten einen Blick.
»Jesus sagt. ›Richtet nicht.‹ Aber hat …«
Wieder hielt Kardinal Rodriguez inne.
Erwartungsvolle Stille herrschte.
Einen Augenblick schloss Rodriguez die Augen, bevor er
erneut auf die Mappe blickte und weitersprach.
»Jesus sagt. ›Richtet nicht.‹ Aber hat unsere Kirche
sich je daran gehalten? Sind wir es nicht, die Tag für Tag richten, indem wir
vorgeben zu wissen, was Sünde gegen Gott ist und was nicht? Aber sündigen wir
damit nicht selbst? Sündigen wir nicht, wenn wir vorgeben, als Menschen, die
wir sind, gottgleich zu wissen, was Sünde ist und was nicht?«
Ein Raunen ging durch die Reihen der Menschen.
Bariellos Nerven fingen an zu flirren.
Diese Worte waren nicht im Sinne der Kirche.
Diese Worte waren Blasphemie, die Verhöhnung des
römisch-katholischen Glaubens aus dem Mund des Kardinalsstaatssekretärs der
katholischen Kirche. Denn die Kirche maß sich durchaus das Recht zu, im Namen
Gottes Sünden vergeben zu dürfen.
»Und sündigen wir nicht ebenso, wenn wir
Weitere Kostenlose Bücher