Sanctus
ausbreitete.
Aus den Augenwinkeln heraus konnte er die Lichter der Altstadt sehen, und auch der Berg nahm Form an. Er sah den höchsten Gipfel, von dem Samuel gesprungen war, aber noch immer keine Spur von dem Garten.
Gabriel drehte sich weiterhin in der Luft und stürzte auf den Mittelpunkt der Finsternis zu, auf die Stelle, an die er sich von dem Satellitenbild erinnerte. Als er genau darüber war, riss er an der Reißleine. Er spürte einen leichten Ruck, als der Führungsschirm aus dem Rucksack schoss, und dann ein Reißen, als ihm der Hauptschirm folgte. Gabriel steckte die Hände in die Führungsseile und lenkte durch die Dunkelheit.
Nun konnte er auch die Geräusche der Stadt hören: das Zischen des Verkehrs auf der Ringstraße und Musik aus den Bars auf der Südseite der Mauer. Dann verstummten die Geräusche, und fast alles Licht verlosch, als Gabriel in den dunklen Krater im Herzen des Bergs fiel.
Es dauerte nicht lange, und Gabriel hatte sich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt. Er sah Risse in der Bergwand und runde, flauschige Formen in einem großen Areal unter ihm, das heller wirkte als der Rest des Bergs. Das war der Garten. Er war wesentlich näher, als Gabriel gedacht hatte.
Mit aller Kraft zog Gabriel an den Führungsseilen, um den Abstieg abzubremsen. Im letzten Augenblick riss er die Füße hoch und versuchte, einem Wipfel auszuweichen, doch seine Stiefel krachten laut durch die dünnen Zweige. Gabriel zog am rechten Führungsseil, um von dem Baum wegzukommen, doch sein Bein verfing sich an einem größeren Ast. Er trat sich los und hob gerade noch rechtzeitig den Blick, um einen weiteren Baum auf sich zurasen zu sehen.
*
Der Mönch schaute von dem Kaminfeuer auf – und lauschte.
Er stand auf und ging zur Tür. Seine rote Soutane war der einzige Farbklecks in der grauen Welt der Privatgemächer des Prälaten. Er legte das Ohr an die Tür, die zum Garten führte, und da hörte er es erneut, diesmal leiser. Es klang, als flattere ein großer Vogel in den Bäumen oder als kämpfe sich jemand durchs Gebüsch. Der Mönch runzelte die Stirn. Nach Einbruch der Dunkelheit durfte niemand mehr in den Garten. Er holte seine Beretta aus dem Ärmel, schaltete das Licht aus und öffnete die Tür.
Es dauerte noch Stunden, bis der Mond aufging, und in der Finsternis des Gartens konnte der Mönch nichts sehen. Er trat hinaus, schloss leise die Tür hinter sich, ließ seinen Blick dann durch die Dunkelheit schweifen und lauschte wie eine Eule auf jedes Geräusch.
Ein lautes Knacken durchbrach die Stille, und der Mönch riss den Kopf herum. Er hörte ein leises Flüstern – oder war das Blätterrauschen? –, dann kehrte wieder Stille ein. Die Geräusche waren von den Obstbäumen gekommen. Der Mönch trat über den Kiespfad hinweg und auf das Gras, das seine Schritte dämpfen würde. Die Waffe in der Hand, eilte er auf die Bäume zu, und mehr und mehr Formen schälten sich aus der Dunkelheit, als seine Augen sich daran gewöhnten.
Jetzt sah er die Bäume und noch etwas anderes in der Mitte des Hains, heller als die Nacht, und es bewegte sich durch die Dunkelheit wie ein Geist. Der Mönch richtete seine Waffe darauf und rückte in der Deckung der Bäume näher an die Erscheinung heran. Als er näher kam, sah er Seile, die vom Rand des Dings baumelten, und dann den Harnisch auf dem Boden. Im selben Augenblick, als er erkannte, was das war, wurde sein Kopf herumgerissen, und ein lautes Krachen hallte ihm in den Ohren wider. Der Mönch versuchte noch, die Waffe auf den Angreifer zu richten, doch die Verbindung zwischen Kopf und Körper war bereits durchtrennt. Mit gebrochenem Genick fiel er zu Boden und roch die feuchte, dunkle Erde, während irgendjemand ihm den Gürtel abnahm und an der Soutane zog. Dann schlossen sich seine Augen, und Dunkelheit hüllte ihn ein.
K APITEL 137
Das Licht des Motorradscheinwerfers tanzte über die Tunnelwände und in Richtung des Stahltors am Ausgang.
Schließlich ragte das massive Tor aus der Dunkelheit, und Kathryn trat auf die Bremse und rutschte über den Betonboden, bis das Vorderrad gegen das Tor prallte. Sie nahm die Schlüsselkarte aus dem Mund, zog sie durch das Lesegerät und sprang von der Maschine. Sie glaubte, hinter sich das Knistern der Flammen zu hören, und sie warf sich neben dem Motorrad auf den Boden, um sich hinauszurollen, sobald das Tor sich hob.
Doch nichts geschah.
Kathryn schaute auf die Karte, die von ihren Zähnen ein wenig verbogen
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