Sanctus
aufgeschlagen.
Reis schaltete die Aufnahme wieder ein.
»Auf den ersten Blick entspricht der Zustand des Leichnams dem, was man nach einem Sturz aus großer Höhe erwarten kann: massive Traumata am ganzen Körper und gebrochene Rippen, die an mehreren Stellen aus dem Thorax ragen.
Der ganze Körper ist mit dunklem, geronnenem Blut aus zahlreichen Wunden bedeckt. Beide Schlüsselbeine sind mehrfach gebrochen, und das rechte hat am Hals die Haut durchstoßen. Auch scheint dort ...«
Er beugte sich näher heran.
»Auch scheint dort ein alter, gleichmäßiger Schnitt zu sein, der quer über den Hals von Schulter zu Schulter verläuft.«
Reis griff nach der Wasserdüse, die über dem Untersuchungstisch hing, und richtete den Strahl auf Hals und Brust des Toten. Rasch löste sich das klebrige Blut unter dem Druck.
»Himmel!«, keuchte Reis.
Er spritzte auch den restlichen Körper ab: zuerst die Brust, dann die Arme und schließlich die Beine. Erneut unterbrach er die Aufnahme.
»Hey, Arkadian«, rief er dem Inspektor, der den Raum schon fast verlassen hatte, über die Schulter hinweg zu. »Sie haben doch gesagt, ich soll Sie rufen, wenn ich etwas finde. Na, dann kommen Sie mal her.«
K APITEL 26
An der Tür blieb Athanasius stehen. Er hatte nicht das Recht, das Gewölbe zu betreten, und mehr als nur ein wenig Angst vor dem, was passieren würde, sollte er es trotzdem tun.
Er blickte hinein.
Der Abt stand eindrucksvoll in dem beengten Raum, und das rote Licht schien förmlich von ihm auszustrahlen, als wäre er ein Dämon in der Dunkelheit. Er hatte der Tür den Rücken zugewandt; also konnte er Athanasius nicht sehen. Stattdessen war sein Blick auf ein Gitter von fünfzehn Nischen in der gegenüberliegenden Wand fixiert, von denen jede einen Behälter enthielt, der aus dem gleichen Material bestand wie die Blackbox eines Flugzeugs. Athanasius erinnerte sich daran, dass Vater Malachi ihm einmal erzählt hatte, dass diese Behälter es sogar überstehen würden, sollte der ganze Berg auf sie fallen; doch das tröstete ihn jetzt nur wenig.
Athanasius schaute auf den Boden und überlegte, ob er das Gewölbe einfach kühn betreten sollte, doch die Phrase ›Nichts Böses sehen oder hören‹ kam ihm ungebeten in den Sinn, und so blieb er, wo er war, bis der Abt seine Gegenwart irgendwie spürte und sich zu ihm umdrehte. Erleichtert stellte Athanasius fest, dass das Gesicht seines Herrn trotz des roten Glühens nicht das eines Mannes auf dem Kriegspfad war, sondern das nachdenkliche von jemandem, der ein Problem zu lösen hatte.
»Komm rein.« Der Abt holte einen Behälter aus der Nische und trug ihn zu einem Katheder in der Mitte des Raums. Athanasius zögerte jedoch noch immer, und so sagte der Abt: »Auf dem Weg hierher habe ich mit Malachi gesprochen. Du darfst das Gewölbe betreten – zumindest für eine Stunde.«
Athanasius gehorchte, und ein zweites rotes Glühen begleitete ihn durch den Raum und bestätigte so, dass er sich rechtmäßig hier aufhielt.
Der Katheder stand dem Eingang zugewandt, die Lesefläche jedoch im rechten Winkel dazu. Auf diese Art konnte jeder, der dort stand, sehen, wann sich ihm das Licht von jemandem näherte, und gleichzeitig konnte man von außen das aufgeschlagene Buch nicht erkennen.
»Ich habe dich hierher gerufen«, begann der Abt, »weil ich dir etwas zeigen will.«
Vorsichtig öffnete er den Behälter.
»Hast du eine Idee, was das sein könnte?«
Athanasius beugte sich vor. Seine Aura verschmolz mit der des Abts und beleuchtete ein in Schiefer gebundenes Buch. Auf dem Einband prangte ein kühnes Symbol: das Symbol des Tau.
Athanasius verschlug es den Atem. Er wusste sofort, was das war. Er hatte schon viel darüber gelesen, und er wusste auch, unter welchen Umständen es entdeckt worden war.
»Eine Ketzerbibel«, keuchte Athanasius.
»Nein«, korrigierte ihn der Abt. »Nicht eine Ketzerbibel, sondern die Ketzerbibel. Das ist das letzte verbliebene Exemplar.«
Athanasius starrte auf den Schiefereinband. »Ich dachte, sie seien alle zerstört worden.«
»Das sollen die Menschen auch ruhig glauben. Schließlich sucht niemand nach etwas, wovon er glaubt, dass es nicht existiert.«
Athanasius dachte darüber nach. Seit Jahren hatte er keinen Gedanken mehr an das legendäre Buch verschwendet, eben weil er geglaubt hatte, dass es genau das sei: eine Legende. Doch nun lag es hier, zum Greifen nahe.
»Dieses Buch«, erklärte der Abt mit gefletschten Zähnen, »enthält
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