Sand & Blut
Anfang meines Studiums Ende der Neunziger habe ich dann in Berlin den ganzen Hauptstadtzirkus inklusive Berlin-Hype mitbekommen. Da alle von schicken Jobs ohne Sinn und Verstand träumten und so der abgegriffene Spruch »Ich will was mit Medien machen« entstand, hatte ich mit meinen bescheidenen Kenntnissen in der Literatur plötzlich den Ruf, ein »Alleswisser« zu sein. Ein bisschen Feuilleton lesen und den ein oder anderen Klassiker studieren, hätte den meisten genügt, um genauso zu »glänzen« wie ich. Aber sie taten es nicht. Stattdessen schwirrten sie in Bars und Clubs herum, manchmal als Gäste, manchmal als Kellner und schlitterten von Projekt zu Projekt. Projekt bedeutete meistens: Alle arbeiten und keiner kriegt Geld.
Ich habe selbst an einigen dieser Sachen teilgenommen. Kurzfilme und so was, aber mein Studium war mir dann doch zu wichtig und da die Filme selten fertig und noch seltener gut wurden, verlor ich schnell das Interesse an der »Medienarbeit«.
Außerdem begannen einige Dozenten, mich intensiver zu fördern. Ich wurde auf Poetikveranstaltungen und exklusive Seminare eingeladen. Nicht, dass die besser gewesen wären, aber es ging gar nicht um die Inhalte, sondern um die Kontakte, die man knüpfte. Mochte man sich, konnte man sich riechen , sagten damals viele, war das ein entscheidender Schritt für die Karriere im Studium.
Mein Magister war dann im Prinzip nur eine Formsache. Ich schrieb über die poetologische Selbstreflexion im Simplicissimus-Zyklus. Klingt komplizierter, als es ist und ging eigentlich nur darum, dass der bärbeißige Schriftsteller im Laufe der Jahre immer zynischer wurde. Es wurde die Bestnote und damit versprach man mir, oder besser gesagt: Man stellte mir in Aussicht, dass ich eine Doktorarbeit an der HU in Berlin schreiben könnte. Der Gedanke gefiel mir natürlich außerordentlich. In Berlin einen Doktor in Literaturwissenschaft zu machen, ist schon eine Nummer. Ich stellte mich auf einige aufregende Jahre ein, in denen ich auf Partys erzählen konnte, dass ich gerade meine Dissertation fertigstellte.
Leider spricht mich der Lehrstuhlinhaber kurz vor Semesterschluss an und sagt, man hätte nicht alle Mittel bekommen und im Doktorandenprogramm hätte man leider schon einen Kandidaten für eine Arbeit über die Frühe Neuzeit. Ich war so geschockt wie sicher, dass das nicht nur an meiner eingereichten These der Arbeit lag. Kandidaten nämlich am Arsch. Der Dekan hatte einer kleinen, kurvigen Brillenschlange meinen Platz gegeben und jeder wusste, dass sie sein Büro nicht nur betrat, um mit ihrem hübschen Mund zu reden.
Ich muss ihn so entgeistert angeschaut haben, dass er ein schlechtes Gewissen bekam und seine Beziehungen spielen ließ. Bamberg war bereit, mich aufzunehmen. Nachdem ich vier Semester Lehrtätigkeit übernommen hätte, fände sich sicher ein Topf für eine »kleine Doktorarbeit«. Ich hatte keine andere Wahl. Ich musste zusagen. Und so kommen die Unis an ihre billigen Dozenten.
Ich verdiente als Dozent und angehender Doktor so viel wie ein Hauptschüler nach der Lehre. Aber man muss dazu natürlich sagen, dass man diese drei Seminare pro Woche mit links absitzt. Den Rest hat man frei, klar wird man auch für die Vorbereitung bezahlt, die ist aber ein Klacks, wenn man zwanzigjährige Mäuschen unterrichtet, die die meiste Zeit auf ihr Smartphone unter dem Tisch starren. So richtig beschweren konnte ich mich also nicht und ich wurde in Bamberg auch sehr freundlich und gut aufgenommen. Alles war ein ganzes Stück kleiner und familiärer. Die Leute sind deutlich zurückhaltender und bescheidener im Auftreten als in Berlin. Ich musste mich erst mal daran gewöhnen, dass man hier aus Prinzip immer »tief stapelt«. Ein Ort, in dem das jährliche Bierfest das kulturelle Highlight und ein Bier, das nach Schinken schmeckt, der ganze Stolz der Stadt ist, geht die Sachen etwas gemächlicher an.
Aber dann war es soweit. Ich hatte es geschafft, nicht negativ aufzufallen und meine Seminare waren erstaunlicherweise gut besucht und die Evaluation brachte so manchen Fan zum Vorschein. Der Arbeit stand nichts mehr im Wege.
Vor zwei Jahren habe ich dann damit angefangen. Kurz bevor ich Tanja kennenlernte. Auch sie war eine Doktorandin und wir zogen schnell zusammen. Das geht bei Akademikern schneller, als man Zwischenfinanzierung sagen kann. Tanja hatte langes schwarzes Haar, das fest wie das einer Zigeunerin war. Ihre leicht runde, aber durchaus üppige Figur
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