Sand & Blut
des akademischen Betriebs geschaut hat, weiß das und es ist ein offenes Geheimnis im Betrieb, dass die Doktorarbeit meistens nur von zwei Personen gelesen wird. Dem Partner des Verfassers, der nach Rechtschreibfehlern sucht und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Professors, die die Zitate zählt. Stimmt der Quotient, der sich aus der Seitenanzahl und der Menge der Zitate pro Seite zusammensetzt, wird sie meistens durchgewunken.
Es gibt zwei Arten, damit umzugehen: Akzeptieren und einen schönen Zitiersalat mischen oder scheitern.
Ich schrieb noch immer über Grimmelshausen und mein alter Vorteil, dass es kaum Veröffentlichungen zu dieser Zeit gab, wurde mir hier zum Galgenstrick. Ich hatte schlichtweg nicht genügend Forschungsmaterial, um alle meine Gedanken wissenschaftlich zu unterfüttern. Im Klartext: Ich fand keine Zitate! Seit Guttenberg waren die aber nun überlebensnotwendig. Meine Arbeit würde damit zu wenig Fußnoten enthalten und so eindeutig die Prüfer bei der ersten Durchsicht verunsichern. Vor Guttenberg wäre man damit durchgekommen, aber jetzt sah es echt schlecht aus. Während Tanja ihren Abgabetermin herbeisehnte, fürchtete ich meinen immer mehr und verschob ihn immer wieder, was zum ersten Stirnrunzeln im Lehrstuhl führte.
Die Bamberger erwarteten schon, dass man einhielt, was man ankündigte und ich bekam die Konsequenzen zu spüren. Statt drei, sollte ich nur noch ein Seminar abhalten, damit ich mehr Zeit für meine Arbeit hatte. Und das merkte ich plötzlich im Portemonnaie. Tanja musste immer öfter die Rechnungen übernehmen und Sie können sich vorstellen, wie sich das auf die Harmonie einer Beziehung auswirkt. Ich war der versagende Loser, der natürlich aufgebaut werden musste, aber der vielleicht auch einen kleinen Tritt in den Hintern brauchte? Die Situation war so ausweglos wie verfahren.
Tanja half mir zwar, wo es ging, aber ich kam einfach nicht voran. Der Sommer stand vor der Tür und wir gingen immer öfter zu einem beliebten Badesee als in die Bibliothek. Ich saß mit Tanja auf dem weißen Sandstrand der Badegrube und starrte ins Leere, während sie in ihren Notizen blätterte.
Man konnte damals schon merken, dass es ein schöner und langer Sommer werden würde. Der Badesee, eine klassische Baggergrube, war klar und rein und ich hätte nichts lieber gemacht, als den ganzen Sommer in dem weichen, warmen Sand zu liegen und ein paar Klassiker und Krimis zu lesen oder Tanja den Rücken einzucremen. Das war aber außer Reichweite.
»Vielleicht solltest du mal mit deinem Prof reden?«, sagte sie und stützte sich auf meinem Knie ab. Verständnisvoll schaute sie mich mit ihren großen Augen an. Sie wollte, dass es mir gut ging und nicht, dass ich hier bleich und zitternd am Strand lag, während meine Studenten fröhlich um uns herumsprangen.
»Ich weiß nicht!«, sagte ich. »Wie sieht das denn aus?«
Tanja richtete sich auf und ließ ihren Nacken knacken. Sie legte ihre fein säuberlich beschriebenen Papiere in den Sand. Sie arbeitete wirklich gewissenhaft und sogar die winzigen Sandkörner sahen aus, als würden sie die perfekte Ordnung ihrer Gliederung stören.
Ich wusste, dass sie an unsere Situation dachte. Sie hatte dann diesen konzentrierten Gesichtsausdruck, der mich fast schon an eine Versteifung erinnerte. Ein anderer hätte sein Kinn vorgeschoben oder mit den Zähnen geknirscht. Ich vermutete, dass sie sich das alles schon sehr früh abgewöhnt hatte. Mama will nicht, dass du so knirschst, Tanja!
Sie wandte sich mir abrupt zu und sah aus wie eine Schauspielerin in einem französischen Film. Freier Rücken, schwarzes Haar und ein Buch zwischen den nackten Beinen. Im Hintergrund liefen einige meiner Studenten vorbei. Sie warfen sich einen Volleyball zu und schrien lauthals auf, als er ins Wasser sprang.
»Er wird es wahrscheinlich schon ahnen«, sagte sie ruhig. Ihr Haar wehte leicht im Wind und sie ließ den Blick über das Ufer gleiten. Es war ein dichtes, grünes, fast an einen Dschungel erinnerndes Ufer. Undurchdringlich, sogar ein bisschen geheimnisvoll. Sie kniff die Augen zusammen und musterte die Landschaft. Ein paar Blüten tanzten sogar durch die Luft. Paradiesisch schön.
»Ich will hier bleiben!«, sagte sie, ohne mich anzusehen. Das heißt, auch ohne dich!
»Es ist schön hier, und wenn man in München an so einem See sitzt, zählt immer auch das Auto, mit dem du gekommen bist. Verstehst du?«
Ich nickte langsam.
»Auf einen eigenen
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