Sand & Blut
war mir gleich zwischen den Regalen der Bibliothek aufgefallen.
»Welches Buch suchen wir denn?«, hatte ich sie gefragt und hielt das für einen grandiosen Spruch.
Sie hatte mich irritiert angeblinzelt und einen Moment nichts gesagt. Dann schien sie sich gefangen zu haben. Ich grinste noch immer mein berühmtes »Unverschämt-aber-sexy«-Grinsen.
»Es heißt: Im Lesesaal bitte nur leise sprechen und zum Flirten auf die Ü30-Partys gehen!«
Mit so viel Schlagfertigkeit hatte ich nicht gerechnet und ich verzog mich ohne ein weiteres Wort. Zickige Kollegen waren mir ein Gräuel. Eine Stunde später stand sie vor mir, als ich in der kleinen anliegenden Cafeteria einen überteuerten Kaffee Creme umrührte.
»Sehe ich schon so alt aus?«, fragte ich niedergeschlagen. Sie lächelte dünn.
»Nein, knapp dreißig ist ja auch noch kein Alter!«
»Ich bin eigentlich siebenundzwanzig!«, sagte ich entmutigt. Diesmal wurde ihr Lächeln breiter.
Es kam dann doch zu einer Verabredung. Tanja war eine kleine, stille und hart arbeitende Dozentin. Typisch für den akademischen Betrieb. Nur nicht auffallen. Nicht zu sehr die Weiblichkeit betonen, aber bloß auch nicht den Mund aufreißen, sonst hält dich jeder für eine frustrierte Lesbe. Es ist ein Drahtseilakt, der meistens in der absoluten Unscheinbarkeit endet. Ein unaufmerksamer Mann hätte sie auf der Straße keines Blickes gewürdigt. Aber sie war unter der grauen Schale sehr sexy. Und sie konnte einen mit ihren Haaren und Händen um den Verstand bringen. Ich hatte mich auch in sie verliebt, weil sie als eine der Wenigen nicht davon beeindruckt war, dass ich aus Berlin kam.
»Was ist denn in Berlin schief gelaufen?«, fragte sie mich unumwunden bei unserem ersten Date. Und obwohl ich nicht dafür bekannt bin, dass ich über mich lachen kann, musste ich grinsen.
»Akademische Würden und Begierden!«
Sie verstand mich nur zu gut und ich erfuhr, dass es ihr ähnlich ergangen war.
Sie kam ursprünglich aus München, daher auch ihre Gelassenheit gegenüber Berlin. Und sie teilte beinahe komplementär meine Geschichte. Auch sie war nach Bamberg »empfohlen« worden, nachdem sie eine Doktorarbeit an der Ludwig-Maximilian-Universität abgebrochen hatte. Da sie aber etwas jünger war als ich, hatte sie noch Zeit und das Ganze war nicht so ein Problem. Nur ist es in so einem Fall schon üblich, dass man die Universität wechselt, da ein Abbruch nie ganz ohne Konflikte vonstatten geht. In ihrem Fall hatte sie ein kleines Techtelmechtel mit ihrem Doktorvater und als das in Brüche ging, schwand auf beiden Seiten das Interesse auf weitere rein berufliche Treffen.
Ich musste damals darüber schmunzeln, dass sie wahrscheinlich genau der Typ Frau war, wegen dem ich aus Berlin weggehen musste. Die Muster in der akademischen Welt gleichen sich frappierend. Es ist irgendwo schon ein inzestuöses Rattennest. Andererseits, wenn ich nicht gegangen wäre, hätte ich sie nie kennen und lieben gelernt.
Tanja hatte ihre Lektion aber verstanden. Sie arbeitete verbissen an ihrer Arbeit über Conrad Ferdinand Meyer, einen der wenigen fantastischen Autoren der deutschen Literatur. Nachdem wir zusammen wohnten und uns in ein kleines Akademikerleben eingewöhnten mit abendlichen Gesprächen ohne Glotze und gelegentlichen Drinks und Kochsessions bei Bekannten, setzte sie sich wieder an ihre Arbeit.
Zeitweise schrieb sie fleißig in der Küche und ich im Arbeitszimmer. Zumindest tat ich so.
Zum ersten Mal in meiner akademischen Laufbahn hatte ich nämlich so was wie eine Blockade. Der ganze Guttenbergskandal hatte uns alle sensibilisiert und niemand wusste mehr, welchen Gedanken man noch als den eigenen ausgeben konnte und was man besser als Zitat kennzeichnen sollte. Diese ganze CopyandPaste-Geschichte hatte ein grundlegendes akademisches Problem offengelegt: Sobald man in einer Arbeit etwas Eigenes formuliert, steht man entweder unter Beweispflicht oder Kopierverdacht. Eigene Gedanken sind Geisteswissenschaftlern hochsuspekt, da sie nicht wissenschaftlich (also schon abgedruckt) abgesegnet und deshalb immer der Knackpunkt sind, an dem Kritik geübt wird.
An was anderem kann man nicht rummäkeln, da es ja schon veröffentlicht ist. Hier wird der Spruch »Gedrucktes ist wahr« buchstäblich zum Boomerang und so entstanden in den letzten dreißig Jahren diese Zitatmonster, die schon lange nichts mehr mit eigenständigen Doktorarbeiten zu tun haben. Jeder, der ein bisschen hinter die Kulissen
Weitere Kostenlose Bücher