Sand & Blut
Parkplatz mit Doktorschild kannst du noch ein bisschen warten. Du wirst ihn schon bekommen.«
Sie sprach einen kleinen wunden Punkt an. Ich hasste es, mit dem Fahrrad zwischen all den Studenten zur Uni zu fahren. Aber Parkplätze waren so selten wie fröhliche Hausmeister.
Sie wollte mir sagen, dass ich dankbar sein konnte, hier zu sein und dass ich in München oder Berlin schon längst aussortiert worden wäre. Ich musste ihr recht geben. Sie hatte schon einen gewissen Hang zum Pragmatismus. Ihre Art, die Dinge so zu sehen, wie sie waren und nicht, wie sie sein konnten, hatte mich ja auch fasziniert. Aber jetzt wurde mir klar, dass sie wollte, dass ich die Sache in die Hand nahm. Ich schützte meine Augen vor der Sonne und schob meine Füße durch den Sand.
Das Wasser spiegelte die Wolken und ihr Rücken schimmerte wie eine polierte Holzfläche.
»In Ordnung!«, sagte ich. »Ich kümmere mich darum!«
Tags darauf ging ich zu meinem Betreuer, Prof. Dr. Richter. Ein dünner ernster Goethe-Experte, der immer eine Brille mit dicken Wurstscheibengläsern trug und teure Anzüge kaufte, die seine schmale Statur unvorteilhaft betonten. Er war aber hoch angesehen und hatte einiges zu sagen im Lehrstuhl. Seine kühle Aura hatte mir zuerst etwas Angst gemacht, aber er stellte sich als fair und hilfsbereit heraus. Ich rückte gleich raus mit der Sprache, als ich vor ihm saß. Erstaunlich gelassen schaute er mich an.
»Dachte mir schon, dass das nicht leicht wird!« Er lehnte sich zurück und faltete die Hände gemächlich zu einem Dreieck. Manchmal fragte ich mich, ob das ein geheimes Symbol war, denn ich sah es immer öfter bei älteren Dozenten. Wollte er mir damit irgendein Zeichen geben? Hier bereute ich mal wieder meine profane Berliner Herkunft. Mit Verbindungen, Logen und anderen Geheimbünden hatte ich gar keine Erfahrung macht. Ich kannte geheime Clubs, aber keine geheimen Zeichen. Und vielleicht waren die es ja, auf die es ankam?
Schweigend sah er mich an. Seine Fingerspitzen trommelten aufeinander und er schien nachzudenken.
»Es gibt da etwas, das Ihnen vielleicht helfen könnte«, sagte er langsam und schaute aus seinem großen Fenster. Ein uralter Baum versperrte die Sicht in den Himmel. Ich folgte seinen Ausführungen gespannt.
»Wir haben da eine Sache, die etwas ungewöhnlich, aber vielleicht für Sie genau das Richtige ist!«
Ich hörte ihm schweigend zu. Was kam denn jetzt? Er machte eine dramatische Pause und schien sich noch einmal zu überlegen, ob er wirklich fortfahren sollte.
»Haben Sie schon mal von dem Hippel-Archiv gehört?«, sagte er dann und sah mich spitz an. Ich verneinte wahrheitsgemäß. Der Name war mir völlig unbekannt. Kurz darauf erfuhr ich mehr. Richter öffnete mir die Augen.
Das Hippel-Archiv war eine Sammlung, die nicht für die Öffentlichkeit zugängig war. Es enthielt ein Konvolut äußerst seltener Quellen und Originaldokumente aus der Zeit Grimmelshausens.
Es wurde gehütet wie ein kostbarer Schatz und tauchte auch nicht in dem öffentlich zugänglichen Katalog der Uni auf. Der Grund war äußerst delikat. Diese besagte Sammlung war eine Spende eines Autographensammlers, der vor dreißig Jahren verstorben war. Dieser ominöse Sammler, der besagte Hippel, war ein Sammler alter Schule. Er sammelte mit Bedacht nur Originaldokumente mit den Signaturen kanonisierter Autoren. Grimmelshausen, Gryphius, Lohenstein. Das ganze Programm.
Von allen Klassikern war etwas dabei. Vor allem aber besaß er Handschriften und Urkunden aus Grimmelshausens Lebenszeit, dem ausgehenden siebzehnten Jahrhundert. Ein wahrer Schatz, der von der Forschung noch nicht katalogisiert worden war, aber als Quellenmaterial anerkannt wurde. Die Sache hatte nur diesen einen Haken.
Die Sammlung war zweifelsohne kostbar und mit ihrer Übergabe an die Universität, einer offiziellen Schenkung, war ein kleines Anliegen verbunden. Hippel wollte einen Ehrendoktor verliehen bekommen. Nun hat eine Universität in solchen Fällen meist nichts gegen so etwas einzuwenden und ein Ehrendoktor ist schneller vergeben als ein Zweitschlüssel zur Lehrkörpertoilette, aber in diesem Fall gab es gewichtige Bedenken.
Es stellte sich nämlich heraus, dass Hippel, der 1975 starb, nicht nur ein bisschen aktiv, sondern äußerst engagiert im Dritten Reich mitgemischt hatte. Er war ein Altnazi wie er im Geschichtsbuch steht. Zumindest unterstellte man ihm das. Und es wird wahrscheinlich schon etwas Wahres dran gewesen
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