Sandkasten-Groupie
Mia öffnete die Tür zu ihrem eigenen Domizil und ließ sich in ihre Leseecke fallen. Beim Einzug in ihre gemütliche Dachgeschosswohnung, mit einer kleinen aber für sie ausreichenden Wohnfläche hatte sie einen wunderschönen Ausblick auf ihre Gärten und die Wälder dahinter. So hatte sie aus der niedrigen Fensterbank eine gut ausgepolsterte Leseecke gemacht und genoss ihre Abende oft mit einem Buch und einem Bier. Ihre Mutter plapperte ungehalten über die unterschiedlichen Touren, die sie mit Bea gemacht hatte- Aber vor allem redete sie mit bedrückter Stimme über die große Armut und die vielen Kinder, die ohne Elternhaus aufwachsen mussten. Wenn jemand ein größeres Herz für Ausgestoßene oder schlecht behandelte Menschen hatte als Mia, dann war es ihre eigene Mom. Mia sah ihre Mutter schon mit drei Kindern und zwei wilden Katzen im Gepäck am Flughafen stehen. Plötzlich erinnerte sie sich an eine Geschichte aus ihrer Kindheit und ein süßer Schmerz durchfuhr ihr Herz. „Cherié bist du noch da?“ Mia erschrak und ihr fiel das Gespräch mit ihrer Mutter ein.
„ Qui!“
„ Nun, irgendwas stimmt nicht mit dir. Du hörst mir gar nicht zu!“
„ Doch, Mom! Natürlich! Ich war nur in Gedanken, das ist alles!“
„ Meine kleine Träumerin!“ Die Stimme ihrer Mutter klang so zärtlich und plötzlich sehnte sie sich nach der Umarmung ihrer Mom und dem Duft, den sie dann stets einsog. Wenn sie sich ihrer Mutter anvertrauen würde, hätte sie Mia verstehen können. Sie hätte ihr sicherlich eine ganze Liste mit Ratschlägen aufgeführt und ihr am Ende eine tröstliche heiße Tasse Schokolade gemacht, wie früher. Doch ihre Mutter war weit weg und sie wollte, dass sie ihre Reise genoss.
„ Emi, ist es dir zu viel? Wächst dir alles über den Kopf? Wir sind in zwei Tagen zurück und dann verspreche ich erst mal keine Reise zu planen.“ Wie oft hatte sie das schon gehört? Und darum ging es ihr einfach nicht. Es machte ihr nichts aus, dass ihre Mutter die Welt bereiste. Es machte ihr nur zu schaffen, dass sie kein Teil davon sein konnte. Es tat einfach weh, dass die Trauer um ihren Vater so viel größer war, als die Liebe zu ihren Kindern, um zu Hause zu sein. Das mochte sich egoistisch anhören und Mia schämte sich ihrer Gedanken ein bisschen. Denn was sollte Celin davon abhalten zu reisen? Ihre Kinder waren jenseits der zwanzig, ihr Sohn war die meiste Zeit fort. Doch wie oft hätte Mia schon gern ihre Sachen gepackt und sich mit ihrem Kummer auf ihr Zuhause gefreut, indem ihre Mutter dann heißen Kakao mit Marshmallows machte und sie feste in den Arm nahm. Es war seltsam, aber diesen Platz hatte nicht ihre Großmutter eingenommen, sondern Lynn. Mia erinnerte sich noch, wie sie vor drei Jahren völlig verweint zu Lizzy gefahren war, als sie sich von Jake ihrem damaligen Freund getrennt hatte. Lizzy war unter der Dusche gewesen und Lynn hatte genau das getan, was sie sich von ihrer Mutter gewünscht hätte. Sie hatte sie zum Sofa geführt und sie in eine Decke gewickelt und dann Kakao zubereitet. Den Trick mit den Marshmallows hatte sie schon in ihrer Kindheit gemacht und Mia fühlte sich mit einem Mal so geborgen, wie sie es auch zu Hause getan hätte. Lynnette war ganz anders als ihre Mutter. Sie war nicht so hektisch, bodenständiger, verströmte eine gewisse Ruhe.
Doch Mia wusste, wie sehr ihre Mutter unter dem Verlust ihres Mannes litt und wenn Mia nicht gewusst hätte, wie sehr sie einander geliebt hatten, hätte sie es vielleicht nicht verstanden. Celins Reisen waren keine Reise in ein fernes Land. Nein, es war eine Flucht aus dem Leben welches sie gemeinsam mit Alan geführt hatte und sie fürchtete sich davor dieses Leben allein weiter zuführen. Doch sie wollte nicht am Telefon darüber mit ihrer Mutter sprechen. Eigentlich wollte sie gar nicht mit ihr darüber reden, denn sie fürchtete, dass sie erneut fliehen würde. Deswegen sagte sie schnell: „Liam ist wieder da!“ Eine längere Stille herrschte am Ende der Leitung und Mia konnte sich Celins Gesichtsausdruck genau vorstellen. Es war erleichternd für sie, dass der Sohn schon heimgekehrt war.
„ Daher weht also der Wind!“, sagte sie nun völlig ruhig und man konnte das Lächeln in ihrer Stimme hören. Mia antwortete nicht darauf.
„ Deswegen bist du so … so entzückend wirr. Ist Nic bei dir?“
„ Was meinst du?“ Nun, Mia musste zugeben, so ahnungslos wie sie tat, war sie weiß Gott nicht.
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