Sandor Marai
zusammen. Warte, ich erkläre es Dir.« Mit
beunruhigter Miene starrte er vor sich hin, lächelte, schüttelte ärgerlich den
Kopf. »Nein, wenn ich es so seziere, ist es lächerlich, vielleicht kann man
es doch nicht verstehen ... Ich sage doch, einzeln, für sich war es gar nicht
zu bemerken. Doch das Ganze zusammen ist unerträglich.« Er wiederholte
laut, mit kategorischer Bestimmtheit, streng: »Unerträglich.«
Friedfertiger
sprach er weiter, in unbeschwertem Ton, als würde er von kleinen, banalen
Unannehmlichkeiten während einer glücklich verlaufenen Reise berichten. » Man
kann gar nicht alles erzählen, so vieles gab es da ... Zum Beispiel die
Laschen der Schuhe. Daran hast Du natürlich nicht gedacht. Ich sehe ein, wenn
jemand etwas Großes erschafft, zum Beispiel eine Welt, kann er sich nicht mit
jedem Kleinkram abgeben. Die Lasche vom Schuh, die
verrutscht ... Ich weiß nicht, warum, sie verrutscht einfach, und in dem
schmalen Spalt unter den Schnürsenkeln kommt der helle Strumpf zum Vorschein
... Sicher, das ist ohne Belang, nicht der Rede wert ... Aber jeden Tag, weißt
Du ... Zugegeben, man müßte nur einmal dem Schuster Bescheid sagen, daß er sie
mit ein, zwei Stichen festnäht ... Aber man sagt eben nicht Bescheid. Das ist
das eigenartige. Man sagt nie Bescheid. Jedesmal, wenn ich neue Schuhe kaufe,
denke ich, daß ich es ihm gleich sagen werde ... Aber ich erwähne es ja
ebendeswegen, weil man nichts sagt. Vielleicht, weil man sich schämt ... Nein,
tatsächlich, so eine Lappalie, es lohnt sich nicht, darüber zu reden. Oder der
Kamm. Nach zwei Wochen hat sich ein fettiger Staub zwischen den Zähnen
angesammelt ... Du wäscht dir die Haare, aber der Kamm wird schmutzig sein.
Manche Leute reinigen ihn mit der Haarbürste, einmal habe ich gesehen, wie
jemand einen gespannten Zwirnsfaden durchzog und die Lücken zwischen den Zähnen
damit reinigte. Doch das ist sehr langwierig. Und die Kaufleute, wieviel Ärger
gab es nicht auch mit ihnen.«
Sorgenschwer
sah er vor sich hin. »Die Rasierklingen«, sagte er leiser, als würde er
ein Geschäftsgeheimnis verraten, »leider haben sie sehr unterschiedliche
Qualität. Jede Klinge eine andere Qualität. Wenn du einmal zehn in einer
Packung kaufst, kannst du wahrscheinlich nur zwei gebrauchen ... Kann auch
sein, daß sie nachgemacht werden, alte Klingen werden neu geschliffen und verpackt.
Durchaus möglich, heutzutage ... Klüger wäre es, die Klingen einzeln zu kaufen,
aber das ist so kleinkariert, der Verkäufer sieht dich an, du schämst dich.
Überhaupt die Gegenstände, die Schnur, an der du deine Krawatten aufhängst,
reißt immer ab, weil sie nur mit Reißnägeln an der Schrankwand befestigt ist.
Du ziehst eine Krawatte heraus, und das ganze Bündel fällt hinunter ... Der
Spiegel hängt immer am falschen Ort, im Dunkeln. Immer müßte man nur einen
Nagel einschlagen, jemandem Bescheid sagen ... Aber das ist es ja.«
Wieder sah
er bedrückt vor sich hin. »Sieh mal, man sagt niemandem Bescheid, weil man
ständig das Gefühl hat, sich beeilen zu müssen, man hat etwas zu tun, etwas
Unaufschiebbares, irgendeine großartige und wichtige Aufgabe, die ohne einen
nicht zu lösen ist ... Man wird bereits erwartet, darf sich nur nicht
verspäten ... Im Grunde hat niemand etwas Wesentliches zu tun. Es arbeitet
nur, wem nichts anderes übrigbleibt ... Doch du mußt so tun, als hättest du es
eilig, selbst wenn du allein bist ... Vor lauter Eile hast du keine Zeit, einen
Nagel einzuschlagen oder dich um so eine Kleinigkeit zu kümmern wie einen
schmutzigen Kamm ... Nein, das sind keine Schmerzen. Es ist nur sehr schwer,
versteh doch, sehr schwer anzufangen ... Ich kann nicht sagen, daß das Leben das
Unerträgliche war. Das Leben, das kenne ich nicht ... Ich habe es noch nie
gesehen ... Es ist unerträglich, daß das Fräulein nach der Maniküre anfängt,
mich mit dieser Nagelbürste zu bearbeiten ...
Es ist ein derart brennender Schmerz, als würde die Haut Feuer fangen ... Aber
ein Mann darf über so was nicht reden, lächerlich. Ich sage das nur, damit Du
eine Ahnung hast. Möglich, daß das ganze Werk vollkommen ist, ich weiß es
nicht. Aber die Einzelheiten sind unvollkommen. Immer und überall gibt es Probleme.
In den Hotels mit den Badezimmern. Man spart und nimmt sich kein separates
Badezimmer ... Ich aber, leider, kann es nicht ertragen, wenn ich in ein
Badezimmer gehe und bemerke, daß kurz vor mir jemand gebadet hat ... Da hilft
es auch
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